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Alltagsheld*innen

Jeder kennt sie. Menschen, die sich engagieren. Menschen, die wie selbstverständlich Großes leisten, ohne Lohn oder Anerkennung zu erwarten. Auf genau so einen Menschen hat uns ein Leser unserer kleinen Alltagsheld*innen-Geschichten aufmerksam gemacht. Ich habe sie getroffen.

Wir treffen uns vor einem Café. Ich erkenne sie sofort, denn ich kenne das Foto der Polizistin Hülya Duran, welches wir in unserer Reihe “der-mensch-dahinter.de - Der Mensch hinter der Uniform” veröffentlicht haben. Hülya Duran begrüßt mich mit einem offenem Blick aus hellwachen Augen. Kaum haben wir unseren Kaffee vor uns stehen, berichtet sie lebhaft und anschaulich aus ihrem bewegten Leben und wie sie es von einem Kind von Asylbewerbern zu einer engagierten Polizistin geschafft hat. 


Ihre Eltern kamen 1987 als Flüchtlinge nach Deutschland und sie lebten ca. 4 Jahre in verschiedenen Asylbewerberunterkünften, auch nach Hülyas Geburt. Vier Jahre in der Bundesrepublik, von dem Aufnahmeland kulturell, sprachlich und emotional jedoch fast ebenso weit entfernt wie von ihrer Heimat, begannen sie hier ein Leben und eine Zukunft für ihre Kinder aufzubauen. “Meine Eltern wollten ihren Töchtern ein besseres Leben bieten.” erzählt sie. “Eine Zukunft mit beruflicher Perspektive, statt der Aussicht auf schnelle Heirat und einer traditionellen Rolle als Frau ”. “Ihr könnt alles werden und alles erreichen, wenn ihr fleißig seid” haben ihre Eltern immer gesagt. 


Der Familie wurde die Integration jedoch nicht leicht gemacht. Das Asylantenheim, 10 km von der nächsten Stadt gelegen, machte ein Ankommen in der deutschen Gesellschaft schwer. Erst die Bereitstellung einer Wohnung und somit der Umzug in eine Siedlung mit deutscher Nachbarschaft bot die Voraussetzungen, die sich die Eltern so sehr wünschten. An diesen Umzug erinnert sich die Polizistin heute noch gerne. Eine glückliche Zeit. Denn Kinder sind vorurteilsfrei und spielen ganz selbstverständlich zusammen. Und trotzdem: Gab es Lärm oder beschwerte sich jemand über Müll auf der Straße, waren es immer zuerst “Die Flüchtlinge”. Mich schockieren ihre Erzählungen aus der Schulzeit, in der sie unterschwelligen Rassismus, ausgerechnet vom Lehrpersonal, erleben musste. “Warum willst Du denn auf das Gymnasium? Ihr heiratet doch eh alle schon sehr früh.” Abitur? Warum das denn? Nicht, dass Du später jemandem den Studienplatz wegnimmst.” „Die Jungs sind doch bei euch immer die Paschas - unterdrücken euch eure Brüder und Väter auch?“ Aber Dank ihrer Eltern und trotz ähnlicher Kommentare aus der eigenen Verwandtschaft, biss sich Hülya durch. Schließlich hatte sie ein Ziel vor Augen. Sie wollte studieren, um in ihrem späteren Beruf anderen Menschen helfen und für Gerechtigkeit kämpfen zu können. “Kein Mensch flüchtet ohne Grund aus seiner Heimat. Für meine Eltern war es die Zukunft ihrer Kinder.” Und die hat sich nicht nur Hülya als Polizistin, sondern auch ihre Geschwister als Juristen und Wirtschaftswissenschaftler erkämpft. 


Hülya Duran ist nicht nur ihren Eltern, sondern - trotz aller Hindernisse - auch der deutschen Gesellschaft dankbar für die Chancen, die ihr geboten wurden und die sie ergriffen hat. Als „Stolze Europäerin“ bezeichnet sie sich. Gerade aufgrund ihrer eigenen diskriminierenden Erfahrungen ist es ihr als Polizistin heute extrem wichtig, ihrem Gegenüber offen entgegenzutreten. Schubladendenken ist ihr verhasst. “Jeder Mensch, egal ob es ein Drogensüchtiger, ein Alkoholiker oder ein Obdachloser- jeder hat seine eigene Geschichte. Sein eigenes Schicksal. Und als wäre ihr durchgeplanter Dienst nicht genug, engagierte sie sich über vier Jahre ehrenamtlich im und für das Projekt “Farids Qualifighting” einem sozialintegrativen Sport- und Bildungsprogramm. Zusammen lernen, Bewerbungen schreiben, Praktikumsplätze finden - danach Boxen. “Sport ist ein unglaublicher Anker im Leben. Sport gibt Kraft, ist Motivation und stärkt das Selbstvertrauen” so die aktive Boxerin. 


Ihr Herzensprojekt hat Hülya jedoch inzwischen beim Verein “Hand für Hand e.V.“ gefunden. Ihr Anliegen: Die Bekämpfung von Fluchtursachen in Krisenregionen”. Krisenregionen wie beispielsweise dem Nord-Irak, in dem immer noch vor dem IS-Regime geflohene Yeziden und Christen in Camps und unter unhaltbaren Zuständen leben müssen. Eine Schule wurde bereits vor zwei Jahren erbaut. “Bildung ist ein essentieller Bestandteil der Hilfe.” Hülya zückt ihr Handy und zeigt mir begeistert ein Video von lernenden Kindern, aber auch von älteren Frauen, die erstmals lesen und schreiben lernen. Frauen stark machen, dass scheint ein großes Thema für Hülya Duran zu sein und ich kann es verstehen. 


Aber das Beste kommt zum Schluss und so berichtet Hülya mit glänzenden Augen von einem Projekt des Vereins, das gerade realisiert wird und auf ihren Vorschlag initiiert wurde. Direkt neben der Schule soll eine Sporthalle entstehen. Natürlich auch mit allem notwendigen Equipment für das Boxtraining. Und all das, weil ihre Eltern in der 80er Jahren den Mut hatten - aber auch verzweifelt genug waren - für ihre Kinder die Flucht nach Deutschland zu wagen. Ihre Eltern boten ihr eine Zukunft - eine Zukunft, die sie für Menschen, mit ähnlichen Schwierigkeiten, ebenfalls ermöglichen möchte. 


Neben der fantastischen Hülya Duran gehören darum für mich auch deren Eltern zu meinen persönlichen Alltagsheld*innen. Vielen Dank für Deine Geschichte Hülya 


Aktive Unterstützung für geflüchtete Menschen - (handfuerhand.org)

Farid`s Qualifighting – Sozial-integratives Sport- und Bildungskonzept (farids-qualifighting.de)


Foto: Hülya Duran (privat)