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OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen

500 Jahre Fuggerei

Ursula von der Leyen redet in Augsburg Klartext.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, 

Sehr geehrter Herr Staatsminister, 

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, 

 

Sehr geehrter Erbgraf Fugger-Babenhausen, 

Sehr geehrte Gräfin Fugger von Glött,

 

Liebe Augsburgerinnen und Augsburger,

 

für mich ist es eine große Freude, heute bei Ihnen sein zu können.  

In der ältesten Stadt Deutschlands mit ihren langen Traditionen, die in diesen Tagen zurecht gefeiert werden.

Aber Augsburg ist auch eine Stadt, deren Augen immer hellwach den Horizont absuchen nach dem Neuen. 

Den Ideen und Trends, aus denen sich die Augsburger Erfolgsgeschichten weiterspinnen und neue Traditionen begründen lassen.

Für mich als Präsidentin der Europäischen Kommission ist Europas Vielfalt und Erbe ein Quell der Inspiration.

Gerade in Krisenzeiten sind solche ermutigenden Geschichten wichtig, um neue Ideen und Zuversicht zu schöpfen.

Und es ist erstaunlich, wie viele es in Europa zu entdecken gibt.

Auch und gerade hier in Augsburg.

Ich möchte heute hier in mit Ihnen über drei Werte sprechen, die Ihnen wohlbekannt sind.

Und die wir in Europa gerade jetzt besonders dringend brauchen:

- Der erste Wert ist die Stärke, die aus Selbstvertrauen und Zusammenhalt erwächst.

- Der zweite Wert ist der weite Blick und die Bereitschaft Verantwortung fürs Ganze zu übernehmen.

 - Und der dritte Wert ist der Mut, große Visionen in die Tat umzusetzen. 

Alle diese drei Werte sind hier in Augsburgzuhause.

Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass Augsburg von einem römischen Kaiser gegründet wurde.

Aber Augsburgs heutige Bedeutung und Kraft, verdankt die Stadt sich selbst. 

Den Bürgerinnen und Bürgern, die sich immer wieder auf ihre Stärken besannen, die stets zusammenstanden in der Not. 

Kaufmannsfamilien, die weitsichtig in die eigene Unabhängigkeit investierten.

Die Fugger haben das vorgemacht.  

Mit ihren Stiftungen, die in der 16. Generation bestehen.

Sie haben Wirtschaftskrisen, Weltkriegenund anderen Katastrophen getrotzt.

Europa kann von Augsburg lernen. 

Aktuell stehen wir in Europa geeint zusammen wie selten zuvor. Es ist auch notwendig.

Denn Putins durch nichts zu rechtfertigender Angriffskrieg gegen die Ukraine tritt das Völkerrecht mit Füßen.

Er stellt die europäische Friedensordnung in Frage, überfällt friedliche Nachbarn.

Seine marodierenden Truppen begehen grausame Kriegsverbrechen gegen Ältere, Männer, Frauen und Kinder.

Ich war in Boucha und habe mit meinen eigenen Augen die Massengräber gesehen. Ich habe die zahllosen Leichensäcke gesehen. Die zerbombten Wohnsiedlungen, Schulen und Krankenhäuser.

Wir müssen alles tun, um die Ukraine zu unterstützen, sich gegen diesen blind wütenden Aggressor zur Wehr zu setzen.

Wir leisten der Ukraine wirtschaftliche und humanitäre Hilfe in Milliardenhöhe. 

Die Europäische Union unterstützt den Ankauf von Waffen für die ukrainische Armee in Höhe von bisher 1,5 Milliarden Euro.

Vor allem aber hat unsere Union aus 27 Mitgliedstaaten schnell, entschlossen und einstimmig Sanktionspaket um Sanktionspaket beschlossen.

Sie sind der Preis, den Putin für seinen Angriffskrieg zahlt. 

Ein Bündnis aus mehr als 40 Demokratien rund um den Globus, darunter die USA und Canada, unterstützt diese Sanktionen.

Sie fressen sich Tag um Tag, Woche um Woche tiefer in die russische Wirtschaft.

Sie treffen die Devisenreserven, sie treffen den Handel, sie treffen die Oligarchen, die den Kreml stützen.

Europa hat mit seiner Wirtschaftskraft einen mächtigen Hebel – und den setzen wir ein. 

Allen Unterstützern des Kreml muss klar werden: Mit diesem Krieg versucht Putin vergeblich, die Ukraine von der Landkarte zu wischen vor allem aber raubt er seinem eigenen Land die Zukunftschancen.

Wir wissen nicht, wie lange dieser Krieg noch dauern kann.

Deswegen ist es so wichtig, - und hier komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück - dass wir unsere Einigkeit und gemeinschaftliche Stärke weiter bewahren.

Denn wir können unsere Werte, Demokratie, Freiheit, den Rechtstaat, das Recht jeder Landes selber zu entscheiden, wohin es in Zukunft gehen will, wir können all das nur dann wirkungsvoll verteidigen, wenn wir einig und stark sind.

Sie, die Augsburgerinnen und Augsburgerhaben das vorgemacht - über Jahrhunderte. 

Einigkeit und Zusammenhalt dieser starken Bürgergesellschaft war hier immer eine Konstante des Erfolgs.

Bis heute.

Das bringt mich zur zweiten Augsburger Tugend. 

Der Erfolg dieser Stadt ist deswegen so nachhaltig, weil ihre Bürgerinnen und Bürger stets das Wohl der Gemeinschaft über das eigene Wohl gestellt haben.

Hier in Augsburg war es immer wichtig, dass es nicht nur einem selbst, sondern auch dem Nächsten gut geht.

Denn nur dann hat der Erfolg des Augenblicks Bestand, nur dann ist persönliches und geschäftliches Glück nachhaltig. 

Deswegen feiern wir heute 500 Jahre Fuggerei.

Auch von diesem Rezept kann Europa lernen. 

Denken wir nur an die Pandemie. Es war schwer am Anfang –aber  wir haben darum gerungen, dass alle in Europa gleichberechtigten Zugang zu Impfstoffen erhalten.

Ich mag mir gar nicht ausmalen, was es bedeutet hätte, wenn einige große Mitgliedstaaten Impfstoffe gehabt hätten und die anderen leer ausgegangen wären.

Es hätte Europa zerrissen.

Wir haben stattdessen füreinander gesorgt. Und wir haben mit dem Programm NextGenerationEU einen 800 Milliarden Euro starken Aufbaufonds aufgelegt, um unserem Binnenmarktes wieder Schwung zu verleihen.

Dieselbe Kraft der Solidarität und Gemeinschaft brauchen wir, um die mit Abstand größte und wichtigste Aufgabe unserer Generation anzugehen: Das ist der Kampf gegen den Klimawandel.

Der Weltklimabericht zeigt die Dringlichkeit.

Wir sehen es an den Wetterkatastrophen rund um den Erdball und auch hier bei uns.

Sie kommen schneller, näher und schlagen härter zu.

Die Waldbrände, die Überschwemmungen, die schmelzenden Gletscher, der auftauende Permafrost in Sibirien. 

Wir müssen jetzt handeln, um unsere Lebensgrundlagen auf der Erdezu bewahren. Europa hat sich entschlossen, sich dem Klimawandel entgegen zu stellen.

Wir wollen bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent sein. Und wir haben einen klaren Fahrplan dafür.

Das ist der Europäische Green Deal.

Unsere Klimaziele sind Gesetz. Jetzt geht es um die Umsetzung. Wir zeigen durch Innovation wie der Wandel gelingen kann.

Mit massiven Investitionen in Forschung und Technologien.

Mit dem beschleunigten Ausbau heimischer erneuerbarer Energien.

Das tut nicht nur der Umwelt gut, sondern macht uns auch unabhängig von russischen fossilen Brennstoffen.

Wir investieren in die Produktion von grünem Wasserstoff.

Und wir tragen durch Milliarden-Investitionen der Klimafinanzierung dazu bei, dass auch finanzschwache aber dynamisch wachsende Volkswirtschaften etwa in Afrika heute schon auf Nachhaltigkeit setzen.

Die Herausforderung könnte nicht größer sein.

Aber auch die Chancen sind enorm für unseren Wirtschaftsraum.

Die gute Nachricht ist, dass Europa alles hat, was es braucht, um die Erderwärmung zu stoppen. Die Spitzenforschung.

Die innovativen Unternehmen, die schon jetzt stark in der Klimatechnik dastehen.

Und die öffentlichen und privaten Gelder, um den Prozess zu beschleunigen.

Es ist aber auch Europas Verantwortung, Schrittmacher im Kampf gegen die Erderwärmung zu sein.

Wir können als hochindustrialisierte Region zeigen, dass es geht: Saubere Produktionsverfahren, nachhaltiges Wachstum Die Kreislaufwirtschaft.

Ich bin mir sicher, Jakob Fugger hätte als einer der ersten in Green Bonds, grüne Anleihen investiert.

Weil er den Geschäftssinn und die Weitsicht hatte.

Aber auch die Bereitschaft, Verantwortung fürs Ganze zu übernehmen.

Verantwortlich handeln heißt in diesem Fall: Wir müssen unsere Art zu leben und zu wirtschaften grundlegend verbessern. Es kommt auf uns alle an. Jede und jeden einzelnen.

 Wie wir mit Energie umgehen, wie achtsam mit Rohstoffen und der Natur.

Deswegen waren wir auf der Suche nach etwas, dass die Vision und Seele des Europäischen Grünen Deals buchstäblich begreifbar machen kann.

Und so ist vor bald zwei Jahren ein einzigartiges Projekt entstanden: Das Neue Europäische Bauhaus.

Das Neue Europäische Bauhaus hat zum Ziel, den Menschen den Green Deal näher zu bringen und ganz konkret den notwendigen Wandel vor Ort zu beschleunigen.

 Das passiert mittlerweile an vielen Orten und auf verschiedene Art und Weise. Lassen Sie mich nur ein paar Beispiele nennen: Ganz in der Nähe, im Münchner Vorort Neuperlach wird – dank des Neuen Europäischen Bauhauses ein ganzes Viertel von Grund auf umgekrempelt: Mehr grün. Mehr Orte der Begegnung. Mehr Miteinander.

Ein lebensfreundlicheres Umfeld für die 65.000 Menschen soll entstehen. Und zwar nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger, sondern gemeinsam mit ihnen.

Teilhabe ist eine der wichtigsten Merkmaledes Neuen Europäischen Bauhauses. 

Weitere Projekte entstehen von Norwegen bis Griechenland.

Auch wir als Europäische Kommission bauen im Sinne des Neuen Europäischen Bauhauses: 

In der südspanischen Stadt Sevilla haben wir vor wenigen Wochen den Startschuss für ein neues Gebäude gegeben.

 Unser Forschungszentrum wird die Prinzipien des Bauhauses verwirklichen und Nachhaltigkeit mit Ästhetik und einer lebendigen Gemeinschaft verbinden.

Aber das Neue Europäische Bauhaus geht weit über das reine Bauen hinaus.  

Nehmen wir zum Beispiel Möbel und Mode. 

Immer mehr innovative Betriebe setzen auf Nachhaltigkeit. Sie verwenden natürliche Materialien und vermeiden erfolgreich Abfälle in der Produktion. 

Eine junge belgische Designerin fertigtihre Kreationen aus Stoffresten großer Haute Couture Häuser.

Ein deutsches Label hat es geschafft, die Abfälle im Design-Prozess von 20 %auf unter 1 % zu reduzieren.

Das zeigt, dass es geht. Die Kreislaufwirtschaft funktioniert. 

Das Neue Europäische Bauhaus ist auch an anderen Orten aktiv und gefragt.

Während in der Ukraine die Kämpfe andauern und um ein Ende der Gewalt gerungen wird, planen wir bereits mit der ukrainischen Regierung den Wiederaufbau des Landes.

Es wird Kraft brauchen, die zerbombten Städte wiederaufzubauen.

Aber es stecken auch riesige Chancen darin.

Ukrainische Architektinnen und Architekten erarbeiten Konzepte, wie beim Wiederaufbau Lebensqualität und Nachhaltigkeit in den Städten verbessert werden können. Das Neue Europäische Bauhaus steht Ihnen mit Expertise, Erfahrung und konkreten Ideen zur Seite. 

 

Als ich Präsident Selenskyi vor Ostern in Kiew besucht habe, hat mich tief beeindruckt, wie fest dieses tapfere Volk seinen Blick auf eine hellere und hoffnungsfrohe Zukunft richtet.

Europa wird die Ukraine weiter nach Kräften unterstützen.

Die Entschlossenheit und die Tatkraft dieser Menschen ist auch für uns eine Inspiration.

 

Liebe Augsburgerinnen und Augsburger, Sie haben es sicher gemerkt.

Ich bin bereits bei der dritten Tugend ihrer Stadt angekommen: Ohne Tatkraft verblasst jede noch so brillante Vision.

Die Fuggerei, die heute 500 Jahre alt ist, gäbe es nicht ohne die Weitsicht, den Willen und die Schaffensfreude der Fugger.

Diese Bauten sind in Stein gegossenerunternehmerischer Erfolg, aber mehr noch Ausweis unternehmerischer Verantwortung.

Sie stehen für sozialen Ausgleich.​

Sie sind schön.

Und sie sind nachhaltig.

Die Fuggerei hätte vermutlich nicht all die Jahrhunderte überlebt, wären da nicht auch die 3200 Hektar Wald als Beigabe. 

Sie garantieren nicht nur Einnahmen für den Erhalt der Gebäude, sondern auch klimaneutrales Heizen.

Die Fuggerei ist - wenn man so will – schon jetzt Neues Europäisches Bauhaus.

Umso mehr begrüße ich die Initiative, die Idee der Fuggerei auch an anderen Orten umzusetzen.

Etwa mit den Projekten in Litauen und Sierra Leone. Sie wollen die dort lebenden Menschenermutigen und unterstützen, die universellen Prinzipien der Nachhaltigkeit und Inklusion zu leben.

Immer angepasst an die Gegebenheiten vor Ort.

Auch das haben die Fuggerei und das Neue Europäische Bauhaus gemeinsam.

Den globalen Anspruch, und den Willen, mit den Menschen, Kulturen und Materialien vor Ort Zukunft zu gestalten.

 

Meine Damen und Herren, liebe Festgesellschaft Europa braucht mehr Fuggerei.

Ich kann Ihnen zu dieser Leistung und zu Ihrem Jubiläum nur von Herzen gratulieren.

Ich habe das Gefühl, dass ich etwas sehr Wertvolles mit nach Brüssel nehme.

Ich danke Ihnen und wünsche noch gelungene Feierlichkeiten.


Photographer: Christophe Licoppe

European Union, 2022