Stadtdechanten Jörg Hagemann: Es ist diese Filmsequenz in schwarz-weiß, die mich
in den vergangenen Jahren am stärksten, am nachhaltigsten beeindruckt hat. In
der Mitte des Filmes „Schindlers Liste“ wird, mit ruhiger Musik unterlegt, die
Räumung des Krakauer Ghettos beschrieben. All die Menschen, die nicht in der
Lage sind, das Ghetto zu verlassen, all die Menschen, die sich weigern, in den
sicheren Tod deportiert zu werden, werden wie Vieh zusammengetrieben und
erschossen.
Und zwischen all diesem Elend, dieser Grausamkeit, dieser
Mordlust, diesem Chaos läuft ein einziges kleines etwas dreijähriges Mädchen.
Einzig dieses kleine Mädchen trägt in diesem Schwarz-weiß-Film einen roten
Mantel. Es ist allein, orientierungslos, ängstlich! Menschen um das Mädchen
herum werden rücksichtslos erschossen, hintereinander aufgestellt und mit nur
einer Kugel in Serie kaltblütig abgeknallt. Und das kleine Mädchen mit dem
roten Mantel bleibt allein, es verschwindet in einer Wohnung, ängstlichen
Blickes versteckt es sich unter einem Bett.
Szenen später: ein Leichenberg und
darauf ein roter Mantel!Wie oft haben wir gesagt, so etwas darf es nie wieder
geben. Wie oft haben wir geschrien, NIE WIEDER.
Und liebe Schwestern, liebe
Brüder, wie sicher war ich mir, dass das in meinem Land, in meiner Stadt, in
meiner Umgebung nie wieder geschehen könnte. Und nun müssen wir hier in
Münster, in Deutschland und in der ganzen Welt wieder erleben, dass Unfriede,
dass Hass, dass Mordlust wieder salonfähig werden.
Wir, liebe Schwestern, liebe
Brüder, beten hier wieder einmal um Frieden, weil wir als Christinnen und
Christen, weil wir als Menschen guten Willens nicht still sein können, wenn der
Hass, den der Film „Schindlers Liste“ vor 17 Jahren so eindrücklich in Szene
gesetzt hat, wieder alltäglich wird. Wir beten, wir ringen um Frieden in einer
Zeit, in der unsere jüdischen Schwestern und Brüder in Halle erleben mussten,
wie sie an ihrem höchsten Festtag Jom Kippur, während Ihres Gottesdienstes um
ihre Leben fürchten mussten; wo unsere Geschwister nur durch eine stabile Tür
ihr Leben retten konnten.
Wir schreien hier wieder um Frieden in einer Zeit, wo wir fassungslos wahrnehmen müssen, dass der Regierungspräsident Walter Lübcke wegen seines Einsatzes für Frieden und Menschlichkeit von einem Mörder mit rechtsradikalem Hintergrund erschossen wurde. Wir versammeln uns hier in der Münsteraner Apostelkirche, weil wir noch immer glauben, weil wir noch immer hoffen, dass wir Menschen eine Berufung zum friedlichen Miteinander haben, dass wir ein Leben in Toleranz, Dialogbereitschaft, Fremdenfreundlicheit, Frieden und Menschenwürde leben können und leben sollen.
Auch wenn ich mich wiederhole,
wenn ich meine Worte aus dem vergangenen Jahr, gerade auch nach den
politischen Entwicklungen in unserem Land am Mittwoch, wiederholen muss, wir
schreien unseren Wunsch nach Frieden hinein in eine Welt, in der Politiker das
Denkmal für die ermordeten Juden Europas als Denkmal der Schande bezeichnen.
Diese Friedensbotschaft ist hineingerufen in eine politische Wirklichkeit, in der Hitler und die Nazis als ein Vogelschiss in der 1000jährigen Geschichte Deutschlands beschrieben wurden. Diese unendlich großen Worte des Friedens werden hineingerufen in eine Zeit, in der es politisch opportun zu sein scheint, dass an den Grenzen unseres Landes Frauen und Kindern mit aktiver Waffengewalt der Zugang verwehrt werden soll!
Schwestern und Brüder, ein Blick auf die biblische
Stelle aus dem Buch der Schöpfung, der Genesis, wie wir sie gerade gehört
haben, macht die unfassbare Absurdität dieser unfassbaren Äußerungen deutlich,
die ja nur die Spitze des Eisbergs der politisch-sprachlichen Verrohung ist.
Dort
in der Bibel heißt es: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild
Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ Liebe Schwestern,
liebe Brüder, hier ist nicht die Rede davon, dass Gott auswählt, wer des Lebens
würdig ist. Hier spricht die Bibel, das erste Testament, das heilige Buch
unserer jüdischen Schwestern und Brüder davon, dass der Mensch, und damit, dass
auch heute jeder Mensch von Gott nach seinem Bild geschaffen ist. Hier ist die
Rede davon, dass Gott keine unterschiedlichen Qualitäten von Menschen schuf!
NEIN, als Bild Gottes erschuf er den Menschen. Männlich und weiblich erschuf er
sie!
Wir, Christinnen und Christen, Menschen guten Willens, können nicht
lebensabwertend über Menschen reden, wenn uns die zentrale Botschaft Gottes
Schöpfungsberichtes lebensführend sein will und soll. Schwestern und Brüder,
die Filmsequenz, die ich zu Beginn meiner Worte beschrieben habe, verdeutlicht
auf dem Hintergrund der großen Schöpfungsworte Gottes, dass es beim großen Ziel
des Friedens nicht um den Schutz für eine gesichtslose und undefinierte Masse
von Unbekannten geht, sondern, dass es beim Ringen und Schreien um Frieden, um
Menschen geht, um Individuen, um einmalige unwiderrufliche von Gott geliebte
Menschen! Menschen wie ein kleines dreijähriges Mädchen mit einem roten Mantel,
um Menschen, die uns möglicherweise fremd sind, Menschen, die uns so gar nicht
nahe zu sein scheinen.
Es geht um den Frieden für Menschen, die leben wollen, leben sollen und von Gott ins Leben gestellt wurden. Wenn wir auch heute um Frieden beten, dann nicht um eine theoretische Gefahr abzuwenden, sondern um das Leben von Einzelnen, alt und jung, fremd und bekannt, zu retten. Wenn wir gleich eine kleine Kerze des Friedens anzünden, um diese mit auf eine Demonstration für Frieden auf den Prinzipalmarkt zu nehmen, dann mag das ein kleines Licht für einen jeden Menschen sein, dann ist das aber auch ein großer lichter Wunsch nach Frieden für unsere Stadt Münster und für diese Welt!
Schwestern und Brüder,
Gott liebt die Menschen, Gott liebt jeden einzelnen Menschen! Gott liebt den
Frieden und gibt uns die Kraft und die Ausdauer aufzustehen gegen jeden Hass!!
Liebe Schwestern und Brüder, stehen wir auf und stehen wir ein für Toleranz,
für Dialogbereitschaft, für Fremdenfreundlichkeit, für die Würde eines jeden
Menschen, stehen wir auf und stehen wir ein für Frieden. Amen
Fotos: Bischöfliche Pressestelle / Ann- Christin Ladermann