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Fliegersprache: Ein Phänomen der Popkultur

Redewendungen aus der Militärfliegerei: Von der Startbahn in den Alltag

Militärische Begriffe und Redewendungen haben über Jahrhunderte auch die zivile Alltagssprache geprägt. Oft wurden sie so verinnerlicht, dass die meisten Menschen kaum noch wissen, wo ihr Ursprung liegt und was es eigentlich mit ihnen auf sich hat. Um Licht ins Dunkel zu bringen, werden einige Beispiele aus dem Luftkrieg hier ins Visier genommen. 

Fliegen hat heute schon beinahe etwas Alltägliches. Selbst für einen kurzfristigen Wochenendausflug lassen sich mit einigen Klicks im Internet günstige Hin- und Rückflugtickets ergattern. Das war nicht immer so. Lange Zeit war das Reisen mit dem Flugzeug nur einer privilegierten Oberschicht vorbehalten. Bevor das Flugzeug seinen Siegeszug als ziviles Transportmittel antrat, war es jedoch in erster Linie ein Mittel zur Kriegsführung.

Wenige Jahre nach den ersten erfolgreichen Motorflügen Anfang des 20. Jahrhunderts finden sich bereits Flugzeuge in den Materiallisten vieler Armeen wieder. Dreht man das Rad der Zeit noch ein Stückchen weiter, bekämpfen sich während des Ersten Weltkrieges schon ganze Schwärme von Kampfflugzeugen über den Fronten. Besonders erfolgreiche Piloten werden auf beiden Seiten zu Volkshelden stilisiert, wahrscheinlich die ersten Medienstars der Geschichte. 
Durch den aus Fliegerfilmen bekannten, mit bunten Aufnähern verzierten einteiligen Anzug scheint es, dass hier ein Pilot vor seiner Maschine posiert. Erst nach genauem Hinsehen wird klar, dass es sich um ein Mitglied des Wartungspersonals handelt.  Bundeswehr/Niels JuhlkeSeitdem umgibt die Militärfliegerei eine populäre Aura des Besonderen und Nachahmenswerten. Und obwohl während des Zweiten Weltkrieges gewaltig große Bomberverbände ganze Städte auslöschten und zigtausend Menschen töteten, hält diese Faszination – nicht nur in Spielfilmen wie „Top Gun“ –  bis heute an. Unter diesen Umständen scheint es nicht überraschend, dass viele Begriffe und Redewendungen aus dem Luftkrieg auch Einzug in die Alltagssprache gefunden haben. 

„Auf dem Weg hierher habe ich mich total verfranzt“

Beichtet jemand, dass er sich „verfranzt“ habe, scheint es mit den Navigationskünsten des Betroffenen nicht gerade zum Besten zu stehen. Denn er drückt damit etwas verblümt aus, dass er sich verirrt und nicht den richtigen Weg zum geplanten Ziel eingeschlagen hat. Die Wurzeln des Verbs „verfranzen“ gehen dabei auf den Ersten Weltkrieg zurück, als in doppelsitzigen Flugzeugen noch eine klare Aufgabenverteilung herrschte. 

Dank modernster Technik im Cockpit ist das Navigieren im Transportflugzeug A400M ein Kinderspiel für die Besatzungen. Im Notfall müssen sie aber auch in der Lage sein, nur mit einfachen Hilfsmitteln ihr Ziel zu erreichen.  Bundeswehr/Jane Schmidt

Während der Pilot die Maschine flog, klärte der Beobachter feindliche Stellungen am Boden auf und navigierte seinen Piloten in den Einsatzraum und wieder zurück zum Flugplatz. Bald etablierte sich unter den Fliegern die neckenden Bezeichnungen „Emil“ für den Piloten und „Franz“ für den Beobachter. Zwar war man aufeinander angewiesen, wer aber eigentlich das Sagen in dieser „Fliegerehe“ hat, war Gegenstand vieler Diskussionen. 

„Das hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm“ 

Morgens springt einem der fett markierte Eintrag im Kalender förmlich ins Gesicht: 10 Uhr Besprechungsraum, Meeting, wichtig! Bis dahin sind noch zwei Stunden Zeit und natürlich passiert, was eben passieren muss. Das Telefon klingelt ununterbrochen, Kolleginnen und Kollegen strecken auf einen kurzen Gruß den Kopf zur Tür herein, nebenbei sollen einige Mails erledigt werden und die Chefin benötigt dringend eine Information. Dann der erschrockene Blick auf die Uhr: 9:58 Uhr. Nun aber los! Im Tagestrubel ist der Termin einfach „vom Schirm verschwunden“.

Während früher ein Balken über den hellgrünen Radarschirm strich, wird heute das Luftlagebild auf dem Flachbildschirm abgebildet. Bei den kleinen Punkten handelt es sich um Luftfahrzeuge. Mit einem Klick können deren Flugdaten abgerufen werden.  Bundeswehr/Falk Bärwald Dass die Redewendung aus der Radartechnik des Zweiten Weltkrieges stammt, ist heute wohl kaum noch geläufig. Ein gut ausgebautes Radarnetz bedeutete große Vorteile im Luftkrieg. Denn sowohl unabhängig von der Tages- und Nachtzeit als auch von den Witterungsverhältnissen lassen sich gestartete Flugzeuge als leuchtende Signale auf Radarschirmen selbst über große Distanzen leicht entdecken. Je früher das passiert, desto größer sind auch die Chancen, die anfliegenden Flugzeuge abzuwehren. Verschwinden sie jedoch vom Radarschirm, beispielsweise durch ausgestoßene Radar-Störkörper, verpufft selbst eine bestvorbereitete Abwehr wirkungslos.

„Da geh ich ab wie eine Rakete“ 

Auf Ärger und Freude reagiert jeder Mensch sehr individuell. Alle Ausprägungen zu erfassen, wäre sicher ein Ding der Unmöglichkeit. Während jedoch die einen still in sich gekehrt nicht durchblicken lassen, was sie gerade bewegt, haben die anderen kein Problem damit, die Umgebung an ihrer Gefühlswelt teilhaben zu lassen. Einmal in schlechter Stimmung, empfiehlt es sich, um die besonders reizbaren und aufbrausenden Artgenossen einen weiten Bogen zu schlagen. Denn explodieren die oder gehen sprichwörtlich „wie eine Rakete“ in die Luft, ist es ratsam, sich in sicherer Distanz zu Ihnen zu befinden.

Ein Lenkflugkörper des Flugabwehrraketensystems Patriot verlässt die mobile Startstation, im Fachjargon Launcher. Einmal gestartet, beschleunigt er auf eine Geschwindigkeit von mehreren tausend Stundenkilometern und trifft sicher sein Ziel.  Bundeswehr/Dominik Christian Fischer

Schon 1232 setzten die Chinesen gegen die Mongolen erstmalig Raketen militärisch ein. Atomar bestückte Interkontinentalraketen könnten heutzutage Tod und Vernichtung in jeden Winkel der Welt tragen. Die rasante Beschleunigung nach der Zündung, die extrem hohe Endgeschwindigkeit und die oft eintretende Explosion am Ende ihres Fluges sind Eigenschaften, die beinahe jedermann gedanklich sofort mit Raketen in Verbindung bringt. Schon früh finden sich daher auch viele sprachliche Beispiele, in denen sie zur bildhaften Beschreibung von agilen, sehr temperamentvollen und äußerst umtriebigen Verhaltensweisen herangezogen werden. 

„Das wird mir zu eng, ich ziehe die Reißleine“ 

Oft ist es ein erstes ungutes Gefühl, das einem anzeigt, dass irgendetwas nicht stimmt. Geht man dann näher ins Detail, offenbaren sich mehr und mehr Ungereimtheiten, die möglicherweise ein großes Projekt zum Scheitern bringen. Nach und nach wird sich die Situation zuspitzen und irgendwann der Punkt kommen, an dem eine Entscheidung getroffen werden muss: Nehmen die Betroffenen unter den bestehenden Vorzeichen das Risiko weiter in Kauf oder ziehen sie besser die „Reißleine“, um die gefährliche Entwicklung in letzter Minute doch noch abzuwenden?

In der Absetzmaschine befestigen die Soldatinnen und Soldaten die gelben Fallschirm-Reißleinen per Karabinerhaken an einem Stahlseil. Ihre Länge ist so gewählt, dass der Schirm nach dem Absprung in ausreichender Entfernung zum Flugzeug öffnet.  Bundeswehr/Maximilian Schulz Schnell assoziieren viele mit der „Reißleine“ das Thema Fallschirmspringen. Wird jemand mit einem Automatikschirm abgesetzt, sorgt sie nämlich dafür, dass sich die rettende Kappe nach dem Sprung aus dem Flugzeug von allein öffnet. Das Wort stammt ursprünglich jedoch aus einem ganz anderen Bereich der Fliegerei, nämlich dem Ballonfahrtwesen. Von Ballons aus ließ sich der Gegner hervorragend beobachten und das eigene Artilleriefeuer lenken. Besonders bei starkem Wind war das Landen der Ballons aber riskant. Um zu verhindern, dass der Ballon von ihm erfasst, der Korb über den Boden geschleift und die Besatzung schwer verletzt werden, ließ sich per „Reißleine“ im Notverfahren die Ballonhülle öffnen. Ohne Gas sackte sie in sich zusammen und blieb liegen.

von Fabian Friedl

Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden widmet einen Dauerausstellungsbereich dem Themengebiet Militär und Sprache. Bis Oktober 2021 beleuchtete die Außenstelle des Museums in Berlin-Gatow diesen Aspekt in Bezug auf den Luftkrieg.

Titelfoto: Selbst mehr als 100 Jahre nach den ersten Motorflügen der Gebrüder Wright hat die Faszination Fliegen nichts von ihrer Strahlkraft verloren. 2018 besuchten allein rund 180.000 Menschen die Internationale Luftfahrtausstellung in Berlin. Bundeswehr/Sönke Dwenger