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Haustiere wichtiger als Ortkräfte

Der britische Premier ist wegen der Evakuierung von Haustieren aus Kabul unter Druck.

Der britische Premierminister Boris Johnson sieht sich ein weiteres Mal mit Zweifeln an seiner Aufrichtigkeit konfrontiert: Die Regierung in London wies am Donnerstag den Vorwurf zurück, der Regierungschef habe bei dem chaotischen Abzug aus Afghanistan bei Evakuierunsmaßnahmen das Schicksal von Haustieren über das von afghanischen Ortskräften gestellt. Johnson steht bereits wegen einer Reihe von Partys während des Corona-Lockdowns massiv unter Druck. 

Ein Parlamentsausschuss veröffentlichte erneut E-Mails des Außenministeriums vom August, in denen Diplomaten auf eine Entscheidung Johnsons verwiesen, Mitarbeiter und Tiere aus dem Kabuler Tierheim Nowsad in Sicherheit zu bringen. "Der Premier hat gerade die Evakuierung der Mitarbeiter und Tiere genehmigt", heißt es darin mit Verweis auf den Verein Nowsad. In der Mail wird auf andere Wohltätigkeitsorganisationen verwiesen, die eine ähnliche Behandlung wünschten.

Johnson hatte damals dementiert, auf eine Vorzugsbehandlung für das Tierheim gedrungen zu haben, das von dem britischen Ex-Soldaten Paul Farthing betrieben wurde. Die  Evakuierung der Hunde und Katzen hatte zur Folge, dass viele afghanische Ortskräfte der britischen Streitkräfte zurückgelassen werden mussten. 

Downing Street bekräftigte anlässlich der E-Mail-Veröffentlichungen das Dementi des Regierungschefs. Verteidigungsminister Ben Wallace beharrte darauf, dass er von dem Premierminister keinen Auftrag erhalten habe, den Haustieren den Vorrang zu geben.

"Der Premier hat keine individuellen Entscheidungen über Evakuierungen getroffen", sagte Kabinettsministerin Therese Coffey dem Sender Sky News am Donnerstag. Der konservative Abgeordnete Tom Tugendhat räumte ein, es sei möglich, dass Beamte sich auf Johnson berufen hätten, nachdem dessen Frau Carrie - eine Tierschützerin und Freundin von Farthing - sich offenbar eingeschaltet habe. Er nehme zudem den Verteidigungsminister beim Wort, sagte Tugendhat, Vorsitzender des Außenausschusses, dem Radiosender BBC.

Großbritannien erwartet derzeit mit Spannung die Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts zu den Party-Vorwürfen. Der zunächst für diesen Mittwoch erwartete Bericht der Regierungsbeamtin Sue Gray könnte Presseberichten zufolge entweder sofort oder in der kommenden Woche veröffentlicht werden. "Wir haben ihn noch nicht erhalten", sagte ein Sprecher Johnsons am Donnerstag.

In den vergangenen Wochen hatte es Enthüllungen über eine ganze Reihe von Feiern und Zusammenkünften am Regierungssitz in der Downing Street und im Regierungsviertel gegeben, die mutmaßlich unter Missachtung der geltenden Corona-Regeln stattgefunden hatten. Johnson nahm nachweislich teilweise selbst teil oder soll die Regelverstöße zumindest gebilligt haben. Am Dienstag leitete die Londoner Polizei Ermittlungen zu den Vorwürfen ein. Offenbar verzögert dies die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts.

ck/ju