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Liebe, Tod und Rationalität

Am Donnerstagabend präsentierte die WWU-Studiobühne Werke der norwegischen Schriftstellerin Skomsvold: Zunächst als Lesung, dann als Theaterstück.

Sie gilt als die wichtigste Vertreterin der Gegenwartsliteratur in Norwegen: Kjersti A. Skomsvold war zu Gast in Münster. Der Abend mit ihr bot eine großartige Entdeckung zumindest für alle, die bis dahin noch nichts von Kjersti A. Skomsvold gelesen hatten.


Magnus Enxing – Lektor am Institut für norwegische Philologie – versprach den Besuchern der Studiobühne einen spannenden Abend. Die eigens aus Norwegen angereiste Autorin las zunächst persönlich aus zwei ihrer drei Romane: Erstens aus „Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone“, zweitens aus dem Roman „33“. Anschließend präsentiere die Schauspielerin Sarah Giese das Solo-Theaterstück „K“ - eine Inszenierung auf Grundlage des Romans „33“.

Skomvold las drei Passagen auf Norwegisch vor. Nach jeder Passage gab es die deutsche Übersetzung von einem Mitarbeiter des Instituts für norwegische Philologie. Anschließend hatte das Publikum die Möglichkeit, die Autorin direkt zu befragen.


Assoziationen anstelle klarer Aussagen


Die Lesungen begeisterten mich, denn das Experimentelle der Romantitel ist keine bloße Verpackung, sondern ein künstlerisches Prinzip, das von Skomvold auch in ihrem Text beibehält. Die Norwegerin nimmt einen mit auf die Reise einer tagträumerischen Mischung aus Lyrik und Prosa. Ihre Worte weben ein Netz surrealistischer Gedankensprünge: Das nahtlose Ineinanderfließen verschiedener Leitmotive zu bildhaften Gedankenketten. In schnell wechselnden und doch miteinander verbundenen Assoziationen lockt Skomvold den Zuschauer in das Gefühls-Chaos, das sich zwischen Leben, Liebe, Tod und Rationalität abspielt.

Würde man mich fragen, was die Aussagen von „Meine Gedanken stehen unter einem Baum...“ oder von „33“ sind, so müsste ich sagen: „Jedes Wort, mit dem man etwas in diese abstrakte Kunst hineininterpretiert, verfälscht Skomvolds Intention, gerade die Assoziationen schwingen zu lassen.“ Für mich ließen sich vielleicht die Leitmotive aufzählen, welche die Autorin im „lyrischen Ich“ expressionistisch miteinander verbindet. Das erzählende lyrische Ich ist im Roman „33“ die Figur „K“ - eine Mathematikerin, die sich ein Kind wünscht, um einen lebendig liebenden Gegenpol zum Image der Rationalistin zu haben, das ihr gesellschaftlich aufgezwungen wird.

Das ist eine der wenigen Konkretisierungen, die ich aus Skomvolds Aussagen während des Interviews ziehen konnte. Ansonsten bewegten sich sowohl die Fragen des Publikums als auch die Antworten der Autorin in einer Komplexität, die ich unmöglich festhalten konnte. Die Fragen kamen mehrheitlich von Studierenden, die in einem Seminar die Romane von Skonvold bereits gelesen hatten. Die Fachdiskussion über die sehr anspruchsvolle Werke war auf einem sehr hohen Niveau.


Umso mehr war ich gespannt auf das Kunsterlebnis, wenn die Gedanken von Kjersti A. Skomsvold auf die Bühne gebracht werden: Bilder und Gedankentangenten, die so schnell wechseln und entfremden, das man kaum noch mehr hinterherkommt – zwischen denen Skonvold aber dennoch gezielt Zusammenhänge herstellt, die dazu anstoßen, eigene Assoziationen aus den verschiedenen Leitmotiven zu stricken.

Kopfkino zwischen Leben und Tod


Dieses Kunstprinzip fand in der Bühnen-Inszenierung zu „33“ seinen Höhepunkt: Die Münsteraner Schauspielerin Sarah Giese spielte die Mathematikerin „K“. Das Ineinanderüberfließen von Leitmotiven wurde auf der Bühne auch durch durch das Spiel mit Requisiten, Musik und Tanz transportiert. Das Bild ist von Transfusionsständern eines OP-Saals bestimmt, in dem sich K wegen ihrer Lungenoperation befindet. K verfällt immer wieder in die Szenerie einer Schwangerschaftsuntersuchung: Das Leben (ausgedrückt durch den starken Kinderwunsch K' s) und der Tod (ausgedrückt durch ihre Lungenkrankheit) gehen surreal ineinander über.

In einer Szene zieht K zunächst einen Blasebalg an einem Stab vor sich her und spricht mit ihm wie zu einem Hündchen an der Leine. Danach wieget sie in ihrer Sehnsucht nach einem eigenem Kind den Blasebalg auf ihren Armen. Während Sarah Giese dieses überzogen mütterliche Betüddeln mit dem humorvollen Vergleich zwischen Hündchen und Baby rüberbringt, wechselt sie unmittelbar danach in die bedrohliche Todespanik.


Sie legt den Blasebalg auf einen Tisch und drückt hektisch mit ihren Händen auf ihm herum wie ein Notarzt bei einem Wiederbelebungsversuch auf die Brust eines fast Toten. Das Quietschen des Blasebalgs symbolisiert den sich erschöpfenden Herzschlag. Immer wieder das Zusammenspiel zwischen dem Verlust des wertvollen Lebens während einer waghalsigen Lungen-OP und dem Gewinn des Lebens durch die Geburt eines eigenen Kindes. Das ist der Kampf, der in all den Leitmotiven dargestellt wird – wie zum Beispiel auch in der Tragik, dass ausgerechnet der Mann, von dem K gerne ein Kind gehabt hätte, Selbstmord begangen hatte.

Die schauspielerische Leistung von Sarah Giese war sensationell: Sie rezitierte nicht nur als alleinige Akteurin auf der Bühne knapp über 50 Minuten ihren Text, nein, sie agierte zusätzlich mit großer Spielfreude mit den Bühnenrequisiten, betrieb zwischendurch bei entsprechend eingespielter Musik immer wieder einen flotten Ausdruckstanz und variierte ihre Stimme: Es war alles dabei, vom mütterlichen „Kuckuck, wo bist du denn?“ bis zum wilden Geschrei als Reaktion auf die Leute, die sie als Mathematikerin in ein gesellschaftliches Korsette zwängen wollten. K nutzte dazu einen Weidenkorb zunächst als Wiege für ihr imaginäres Baby, während sie sich gegen Ende in einem Tanz, der ihre Angst verkörperte, unter demselben Korb verkroch, um von niemanden mehr gesehen zu werden.

Es war wie versprochen ein denkwürdiger Abend. Sowohl die vorgestellten Romane als auch die Theater-Inszenierung zu „33“ beeindruckten mich sehr. Skomvold geht einen Weg der abstrakten Kunst, der für Uneingeweihte zunächst schwer nachzuvollziehen ist. Aber es ist schön zu sehen, dass Künstler noch heutzutage den Mut zu derartigen Experimenten haben. Das aufgeführte Stück war eine Paraderolle für die Solo-Schauspieler. Sarah Giese brachte ihre Rolle beeindruckend auf die Bühne. Atemberaubend waren die Rollenwechsel zwischen gröhlender Power und sanftem Feingefühl – in Sprache, Tanz und auch beim Spiel mit den Requisiten. 

Tobias Hachmann