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Präsidentin Tsai zur Verärgerung Pekings wiedergewählt

Tsai hatte ihren Wahlkampf unter dem Motto "Widerstand gegen China, Taiwan verteidigen" geführt und sich auf die Seite der Demokratiebewegung in Hongkong gestellt


Zur Verärgerung Chinas ist Taiwans Präsidentin Tsai Ing Wen wiedergewählt worden. Die 63-Jährige erhielt nach dem am Sonntag vorliegenden Endergebnis 57 Prozent der Stimmen - 1,3 Millionen mehr als bei ihrer ersten Wahl 2016. Tsai hatte ihren Wahlkampf unter dem Motto "Widerstand gegen China, Taiwan verteidigen" geführt und sich auf die Seite der Demokratiebewegung in Hongkong gestellt. Tsais China-freundlicher Herausforderer Han Kuo Yu kam auf lediglich 39 Prozent der Stimmen. Chinas Staatsmedien warfen Tsai "schmutzige Taktiken" und Betrug vor.

"Taiwan zeigt der ganzen Welt, wie sehr wir unseren freien, demokratischen Lebenswandel lieben", sagte Tsai, nachdem ihr Wahlsieg feststand. Die Wählerschaft in Taiwan hatte sich verschreckt gezeigt durch das Vorgehen der chinatreuen Regierung in Hongkong gegen die dortige Demokratiebewegung. 

Die US-Regierung gratulierte Tsai zu ihrem Wahlsieg und erklärte, Taiwan gebe "anderen Ländern, die nach Demokratie, Wohlstand und einem besseren Weg für ihr Volk streben, ein leuchtendes Beispiel". Das Land habe erneut die Stärke seines "robusten demokratischen Systems" unter Beweis gestellt.

Seit dem Amtsantritt von Tsai vor vier Jahren haben sich die Spannungen zwischen Peking und Taipeh verschärft. China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz, die wieder mit der Volksrepublik vereinigt werden soll - notfalls auch mit Gewalt. Taiwan ist international zunehmend isoliert. Nur noch 15 Länder pflegen diplomatische Beziehungen mit Taipeh, vor vier Jahren waren es noch 22 Länder. In den vergangenen Jahren kappte China die Kommunikationskanäle mit Taipeh und sorgte für einen Rückgang der Reisen von Festlandchinesen auf die Insel.

Die Regierung in Peking müsse verstehen, dass die Einwohner Taiwans und ihre demokratisch gewählte Regierung "Druck und Einschüchterung nicht nachgeben", sagte Tsai. Ihr Kontrahent, der 62-jährige Han, hatte sich im Wahlkampf für eine Politik des Ausgleichs gegenüber der Volksrepublik eingesetzt und Tsai vorgeworfen, die Spannungen unnötig verschärft zu haben.

Tsai und ihre Demokratische Fortschrittspartei (DPP) hätten "schmutzige Taktiken wie Betrug, Unterdrückung und Einschüchterung" angewandt, um Stimmen zu bekommen, "und dabei ihre egoistische, gierige und böse Natur vollständig bloßgelegt", hieß es in einem englischsprachigen Kommentar der amtlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. In einem chinesischsprachigen Kommentar wurde der Vorwurf geäußert, "ausländische dunkle Mächte" seien teilweise verantwortlich für das Wahlergebnis. 

Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Geng Shuang, bekräftigte das "Ein-China-Prinzip". "Egal, was in Taiwan passiert, die grundlegenden Fakten ändern sich nicht: Es gibt nur ein China in der Welt und Taiwan ist Teil Chinas."

Der erdrutschartige Sieg Tsais sei für Peking ein "Schlag ins Gesicht", sagte der Politologe Hung Chin Fu von der Cheng-Kung-Universität in Taiwan. Peking werde nun versuchen, Taiwan weiter "einzuzwängen", prognostizierte Jonathan Sullivan von der Universität Nottingham. Das könne auch durch "zunehmende militärische Machtdemonstration" geschehen. 

Tsai hat nach eigenen Angaben nicht vor, Taiwan formal für unabhängig zu erklären. Die Regierung in Peking könnte darauf mit einer Invasion reagieren. Tsai begründet ihren Verzicht auf eine Unabhängigkeitserklärung damit, dass die Insel faktisch bereits ein souveräner Staat sei.

Für die Wähler in Taiwan wirkten die Nachrichten aus Hongkong in den vergangenen Monaten verschreckend. Die von China gestützte Regierungschefin der ehemaligen britischen Kronkolonie, Carrie Lam, hatte sich gegen die Erfüllung von Forderungen der Demokratiebewegung gestemmt. Es entstand der Eindruck, dass die Volksrepublik ihre ursprüngliche Zusage "Ein Land - zwei Systeme" aufweichen wolle, nach der den Bürgern Hongkongs zahlreiche Freiheiten garantiert sind, die in der Volksrepublik nicht bestehen. So fassten es viele Taiwaner als Drohung auf, dass Peking auch für Taiwan die Formel "Ein Land - zwei Systeme" ins Spiel brachte.

ao/ck

Jerome Taylor und Amber Wang / © Agence France-Presse