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Filmkritik: Mein Vater, mein Sohn und der Kilimandscharo

Die ästhetische Sprache der Ausbeutung im 21. Jahrhundert

Den Hamburgern Achill und Aaron Moser ist sicherlich ein beeindruckender Film des Genres Reisefilm gelungen. Besonders, wenn man bedenkt, dass der ganze Film von nur neun Personen entwickelt wurde, wie die beiden dem Münsteraner Publikum im persönlichen Gespräch vor dem Film mitteilten. An der Produktion ist nichts auszusetzten, Chapeau! Besonders die Tiere in dem 88-minütigen Dokumentarfilm waren so gut inszeniert und festgehalten, dass man sich gar an den großen David Attenborough erinnert fühlte. Auch das Narrativ des Films überzeugt: Achill Moser wollte mit seinem Vater, Harry Moser, auf den Kilimandscharo, das klappte dann wegen eines Kreuzbandrisses nicht und so musste es Harry alleine machen. Eindrucksvoll vertonte er seine Reise auf einer Kassette, die man immer wieder im Film zu hören bekommt, während natürlich zeitgleich Aaron, Achills Sohn, dieses Erlebnis nun mit seinem Vater nachholt.

Man könnte meinen, dass spätestens seit Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ in Deutschlands breiter Bevölkerung eine Art Reisewahn ausgebrochen ist, und dieser Film wird sicherlich diese Zielgruppe ansprechen. Pilger, die sich finden wollen, dem Alltag entrinnen, den Vater richtig kennenlernen, sich kennenlernen und so weiter. Ein Interesse wurde auch beim Münsteraner Kinopublikum sichtbar deutlich, bei der Fragerunde zeigte man sich begeistert und die Fragen gingen alle in die Richtung einer eigenen Wanderung oder deuteten auf eigene Erfahrungen hin.  

Nun muss aber auch klar sein, dass der Kilimandscharo nicht der Jakobsweg ist und Achill Moser, wie der Film zeigt, schon mit 17 Jahren ein Reisender war. Der Film stellt den Aufstieg auch keineswegs einfach dar. Auch nach dem Film, appellieren die beiden verantwortungsbewusst für Fitness, Impfungen, Drohnenschein, Genehmigungen und Recycling.  

„Mein Vater, mein Sohn und der Kilimandscharo“ hätte so ein gut gemachtes feel-good- movie mit happy end sein können, wenn, ja wenn da nicht das gravierende Problem mit der – nennen wir es – Politik des Films herrschen würde. Der Film ist leider ein Paradebeispiel wie man in der Postmoderne den Kolonialismus neu verfilmt und schmackhaft macht.  

Zuerst sei gesagt, dass Berge, wie den Kilimandscharo oder den Himalaya zu besteigen kein Geheimtipp ist. Auf dem größten Berg der Welt herrscht regelmäßig Stau. Das macht der Film einerseits deutlich, Aaron nennt es eine „Autobahn“, andererseits sieht man den beiden an, dass sie völlig überfordert sind mit den ganzen Menschen. Die beiden haben fast eine Aversion gegen andere Touristen – den Mosers begegnen Asiatinnen – und der Film stellt diese auch als Störfaktor dar, dabei sind ja die Mosers genau das. Durch das Narrativ geht dieser Umstand nur unter, da man ja mit den Protagonisten sympathisiert.  

Die vielen Menschenmassen gibt es auch auf dem Jakobsweg. Wirklich allein ist man nicht. Auf dem Jakobsweg trägt man seine Sachen aber selber. Was nämlich auf der Bergbesteigung so anders ist, ist, dass Zelte, Verpflegung, ja sogar eine Toilette, von Afrikanern – ich sage bewusst nicht Einheimische, da ich nicht weiß, wo diese Menschen herkommen – getragen werden. Achill Moser bezeichnet diese Menschen im Gespräch als „Farbige“, ein antiquierter, problematischer Begriff. Früher sei das Gebiet rund um den Berg auch noch „banditenverseucht“ gewesen – hier hätte man (im Gespräch) auf die Ausdrucksweise besser achten sollen.

Die Afrikaner bauen dann an fixen Stellen erst Stationen auf und bekochen anschließend die Touristen. Jeden Morgen wird die Gesundheit gecheckt – man ist sich also auch seiner ganzen Probleme bis hin zu seinem Puls bewusst, kann man da überhaupt abschalten? Die Mosers haben ein riesiges Zelt, ihnen ist das auch unangenehm, genauso wie die Tatsache, dass die Afrikaner alles für sie machen, während letztere sich zu zehnt – so sieht es zumindest aus – ein Zelt teilen.  

Der Film und andere Reisefilme und Berichte möchte ich deshalb einordnen. Die Mosers, mit ihrer Betonung, wie wunderschön doch dieses Land sei, und andere Filme dieser Gattung suggerieren eine gewisse Weltoffenheit. Achill Moser präsentiert sich zudem ja gerade als harmloser Aussteiger aus der so gerühmten „Zivilisation“. Und wir alle kennen Sprüche wie „über den Tellerrand schauen“ und Weltoffenheit sei ohnehin gut. Diese Gattung spricht aber, meist gänzlich unbewusst, eine deutliche andere Sprache und zwar die des Kolonialismus, Imperialismus und Orientalismus.      

Der Film erwähnt beispielsweise mit keiner Silbe, dass der Kilimandscharo und seine Besteigung ein rein westliches Unterfangen ist, ja sogar, dass es das Deutsche Kaiserreich war, welches das Gebiet Ostafrika besetzt hatte. Hans Meyer, der Erstbesteiger taufte die Spitze sogar „Kaiser-Wilhelm-Spitze“. Die Massai betreten den Berg erst gar nicht, aus religiösen Gründen, bei ihnen heißt er nämlich „Das Haus Gottes“. Das erzählt uns der Film wiederum und bei Achill kommen Zweifel auf, ob er diese heilige Stätte wirklich entweihen will, nachdem er doch die Massai so lange kannte. Dieser Zwiespalt taucht nach einer Fußverletzung nie wieder auf. Ab da hieß es nur noch „nicht aufgeben“, auf wenn Aaron (aus gesundheitlichen Gründen) seinem Vater vom Aufstieg abrät. Das Narrativ des Films ist klar: Nur wenn man den Berg zusammen besteigt macht man Harry, Achill und Aaron glücklich. Aufgeben, sei es der Gesundheit willen oder aus Verständnis zu den Eingeborenen, ist keine Option und zeigt Schwäche.  

Aussteiger – ja der Begriff ist bewusst maskulin – sind heute hoch im Trend. Reisen wird gefördert, und man schaut fast schon auf Leute, die nur „lokal“ denken und leben herab. Nationalismus ist mit gutem Recht ein Schimpfwort, aber die wenigsten Leute sind sich darüber bewusst, was für eine ungeheuer herabwürdige Sprache Berichte von Reisenden in der postkolonialen Zeit sprechen und dass der Kolonialismus genau von diesen scheinbar unschuldigen Reisenden, man denke nur an Lawrence von Arabien oder Mark Sykes, losgetreten wurde. Man kann vielleicht sogar schon bei Kolumbus oder Hernan Cortes anfangen. Bis heute trägt ein Reiseverlag den Namen Marco Polos. Glauben wir, diese Menschen haben nicht auch das Land für wunderschön gehalten? Nicht auch die Tiere bewundert? Reisende und Abenteurer haben die Grundsteine für die Globalisierung gelegt und damit für Völkermorde und den Klimawandel. Mit Hape Kerkeling und Achill Moser wird dieses Phänomen nun schön und damit vor allem unschuldig verpackt.    

Angekommen im Dorf der Massai, wo die Menschen „so wie vor hundert Jahren leben“, zeigt der Freund der Mosers, ein hervorragender Zeichner, einem alten Massai ein Bild: ein Portrait eines lächelnden Massai, was der Zeichner scheinbar ohne jede Zustimmung gezeichnet hat. Die Massai sind völlig desinteressiert und eine Reaktion muss regelrecht erzwungen werden. Über diese ist der Zeichner dann fast enttäuscht, die Massai deuten sein Bild ganz anders, als er es intendiert hatte. Deutlich wird auch, dass die Bewohner nicht recht mit Kameras umgehen können und wollen. Wissen sie, dass sie in ganz Deutschland zu sehen sein werden?  

Generell wird man in dem Dorf nicht willkommen geheißen, wie man es sich anscheinend erhofft hatte. Man bittet die Frauen zu einem Fotoshooting. Die Stimmung lockert sich erst, als man krampfhaft einem Massai den Hut überzieht. Dann wollen die Frauen Schmuck verkaufen, Aaron ist enttäuscht, dass die Dorfbewohner nur Geschäfte mit ihm machen wollen. In der Stadt zuvor lachte er noch einen Massai aus, der in einem Fußballtrikot vor ihm stand, während er traditionell eingekleidet wird. Aaron ist nicht bewusst, dass die Einheimischen das wegen Leuten wie ihm überhaupt erst machen. Er kommt sich bei dem Basar vor wie in einem „Märchen aus Tausend und einer Nacht“. Das ist genau das Verhalten, was Edward Said in „Orientalismus“ beschrieb.  

Später sagt ein Massai-Krieger, der von Aaron zuvor noch ausgelacht wird, weil er Schuhe aus Motorradreifen trägt, dass die Massai von der „Globalisierung infiziert“ wurden, während man dennoch versucht, alte Traditionen zu bewahren. Dass alte Menschen den Jüngeren auf den Kopf tasten und diese sich bücken wird von den Mosers sogleich lachend imitiert. Die Mosers mögen den Nationalpark und „Natur, wie sie sein sollte“ doch was machen sie dann da? Man muss sich als Westler bewusst sein, dass man Teil des Problems, ja des Virus Globalisierung ist.  

Eine wunderschöne Allegorie präsentiert uns der Film. Angekommen bei den wohl ersten Schritten der Menschheit, die lieblos eingezäunt sind, weil sie den Einheimischen erneut nichts bedeuten, zeigt sich Aaron enttäuscht. Es seien ja doch nur Fußabdrücke von den ersten „Zweibeinern“, die „die Welt erobern sollten“, sagt daraufhin sein Vater. Zurück im Dorf hat sich der alte Massai eine amerikanische Flagge umgehangen. Aaron lacht ihn aus, was er denn damit wolle, ob er die USA liebe. Der Übersetzer sagt, dass er sie der Farben wegen gewählt hatte, weder hasse er die USA, noch liebe er sie. Hier treffen zwei Welten aufeinander, die sich nicht verstehen.  

Der Kilimandscharo, so will es der Film und die Mosers im Nachgespräch erzählen, stünde für Afrika – vor allem weil auf der Spitze, durch den Klimawandel, immer weniger Eis liegt - impliziert ist hier, dass der Klimawandel als Nebenprodukt der westlichen Industrialisierung und des Kapitalismus verstanden werden muss. Dem gilt es gänzlich zuzustimmen, nur aus anderen Gründen. Die Massai, die ja selbst nicht für ganz Afrika sprechen oder stehen – in einer anderen Sprache ist der Berg negativ konnotiert sagt uns der Film – betreten den Berg nicht. Europäer und Asiaten tuen das und Afrikaner, die in ihren Diensten stehen. So ist der Kilimandscharo tatsächlich ein Symbol für die unentwegte und anhaltende Ausbeutung dieses Kontinents, der durch die Mosers und andere Abenteuerlustige stetig vorangetrieben und legitimiert wird. Heute erobern wir keine Länder mehr, oder gründen Kolonien. Wir reisen "nur".   

So wollen wir heute wie damals immer noch „unseren Platz an der Sonne“. Das weiße Eis zieht sich auf dem Berg zurück, die weißen Menschen leider nicht aus Afrika.   


Foto: pixabay