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Entsetzen der afghanischen Ortskräfte

Unterstützer afghanischer Ortskräfte richten schwere Vorwürfe an Bundesregierung

Deutsche Unterstützer von afghanischen Ortskräften haben der Bundesregierung mutwilliges Versagen bei der Rettung der ehemaligen Mitarbeiter vorgeworfen. "Wir sind überwältigt und verbittert in einem Maße, das wir nicht in Worte fassen können", sagte der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte, der Bundeswehroffizier Marcus Grotian, am Dienstag in Berlin. "Wir sind von der eigenen Regierung moralisch verletzt, und das ist beschämend."

Grotians Verein setzt sich seit Jahren für einheimische Ortskräfte der Bundeswehr und anderer deutscher Stellen in Afghanistan ein. Der Offizier richtete eine Reihe von Vorwürfen an deutsche Regierungsstellen: Sie hätten Warnungen vor der drohenden Machtübernahme der Taliban zu lange ignoriert. Sie hätten durch übermäßige Bürokratie gezielt versucht, die Zahl der nach Deutschland ausreisenden Ortskräfte möglichst niedrig zu halten. Zudem gäben sie die Zahl der ausreiseberechtigten Ortskräfte viel zu niedrig an.

Grotian warf den Regierungsstellen vor, "mit bürokratischen Tricks" die Zahl der ausreiseberechtigten Afghanen "herunterreduziert" zu haben. Die von der Bundesregierung genannten Zahlen von 2500 ausreiseberechtigten Afghanen, von denen 1900 schon in Deutschland seien, seien "mitnichten richtig", sagte Grotian. Sein Verein gehe von 8000 Ausreiseberechtigten aus - ehemalige Ortskräfte mitsamt Kernfamilien.

Zu den bürokratischen Hürden, die Grotian besonders kritisierte, zählt die Zwei-Jahres-Frist für Ortskräfte: Die Ausreiseberechtigung war zunächst nur solchen Ortskräften erteilt worden, die in den vorangegangenen zwei Jahren für deutsche Stellen in Afghanistan gearbeitet haben. Im Juni wurde die Regelung gelockert - die Befristung wurde gestrichen für Ortskräfte, die für die Bundeswehr oder andere deutsche Sicherheitsbehörden gearbeitet haben.

Damit seien aber jene Ortskräfte ignoriert worden, die für andere Stellen gearbeitet haben, monierte Grotian. Er berichtete von einer Afghanin, die noch 2017 für die Entwicklungshilfeorganisation GIZ gearbeitet habe. Sie schaffte es in den vergangenen Tagen am Flughafen Kabul "bis zu deutschen Soldaten - und wurde dort abgewiesen", weil sie nicht auf einer Ausreiseliste verzeichnet gewesen sei. 

"Ortskräfte wurden abgelehnt, weil sie zur falschen Zeit fürs falsche Ministerium gearbeitet haben", beklagte Grotian. Seine Forderung sei, "alle, die für uns beschäftigt waren, nicht zurückzuweisen, sondern mitzunehmen".

Das von Grotian geleitete Patenschaftsnetzwerk verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, die Ortskräfte bei ihrem Start in Deutschland zu unterstützen. "Wir tragen diese Verantwortung den Menschen gegenüber, die für uns und für unsere Ziele ihr Leben riskiert haben", heißt es auf der Internetseite. Grotian war als Bundeswehroffizier selbst in Afghanistan stationiert.

pw/cax