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Rettungsaktionen dauern an

Nach fast einer Woche Taliban-Herrschaft läuft die dramatische Rettungsaktion für gefährdete Menschen in Kabul unter Hochdruck weiter:

Die USA mussten sogar Hubschrauber losschicken, um rund 170 US-Bürger von einem Hotel in der afghanischen Hauptstadt zum Flughafen in Sicherheit zu bringen. Die Bundeswehr flog auch in der Nacht zum Samstag erneut Menschen nach Usbekistan aus. Derweil reißt die Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung nicht ab. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock warf Außenminister Heiko Maas (SPD) Versagen vor.

US-Präsident Joe Biden, der wegen des raschen Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan mit der Folge der Machtübernahme durch die radikalislamischen Taliban ebenfalls in der Kritik steht, sicherte am Freitag die Rettung aller Amerikaner aus dem Land zu. "Wir werden Sie nach Hause bringen", sagte Biden im Weißen Haus. Eine ähnliche Zusage machte er für die afghanischen Ortskräfte. Es sei aber "eine der größten, schwierigsten Luftbrücken der Geschichte".

Wie gefährlich und chaotisch die Lage rund um den Flughafen von Kabul weiterhin ist, zeigte sich daran, dass US-Soldaten mit Hubschraubern losfliegen mussten, um am Freitag 169 Menschen sicher zum Flughafen zu bringen. Pentagon-Sprecher John Kirby teilte mit, die Menschen seien vom Baron Hotel nahe des Flughafens von drei Chinook-Hubschraubern abgeholt worden. Grund sei eine "große Menschenmenge" vor dem Flughafen gewesen, ein Durchkommen für die 169 Menschen sei unsicher gewesen. Auch die Bundeswehr schickte zwei Hubschrauber nach Kabul, die inzwischen dort ankamen und ab Samstag einsatzbereit sein sollen.

Die USA hatten am Freitag über sechs oder sieben Stunden ihre Rettungsflüge von Kabul nach Katar unterbrechen müssen, weil dort die Kapazitäten zur Aufnahme von Menschen aus Afghanistan erschöpft waren. Nun soll auch die US-Luftwaffenbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz als Drehscheibe für Evakuierungen genutzt werden. Seit vergangenem Samstag haben die USA laut Biden 13.000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen. Fast 6000 US-Soldaten sichern den Flughafen von Kabul.

Die Bundeswehr flog bislang über 2000 Menschen aus Kabul aus, zuletzt 172 am späten Freitagabend und weitere sieben in der Nacht zu Samstag, wie die Bundeswehr auf Twitter mitteilte. Auf dem Weg zum Flughafen war am Freitag ein Deutscher angeschossen worden, er wurde nicht lebensgefährlich verletzt. Ein weiterer Deutscher erlitt nach ZDF-Informationen in der Nähe des Flughafens leichte Verletzungen.

"Wir erwarten von den Taliban, dass sie allen ausländischen Staatsangehörigen und Afghanen, die das Land verlassen wollen, die sichere Ausreise ermöglichen," hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag gesagt. Mehrere tausend Menschen warten allein vor dem Flughafen auf einen Platz in einer Maschine. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel wollen am Samstag ein Erstaufnahmelager für afghanische Ortskräfte in Spanien besuchen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte die EU in einem Telefongespräch mit dem griechischen Regierungschef vor einer neuen "Flüchtlingswelle", falls Afghanistans Nachbarländern wie dem Iran bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht geholfen werde.

In Deutschland sollen ausgeflogene Afghanen, die noch keine Aufenthaltszusage hatten, vorerst ein Visum für 90 Tage erhalten, meldete der "Spiegel". Ihr Status soll in dieser Zeit geklärt werden. Neben Ortskräften, die oft bereits auf Listen der Bundesregierung stehen, werden auch Frauen- oder Menschenrechtsaktivisten ausgeflogen. Die Linke forderte, auch Familienangehörige von bereits in Deutschland lebenden Afghanen aufzunehmen.

Angesichts der dramatischen Lage griff Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock die Bundesregierung scharf an. "Ich sehe ein riesengroßes Versagen", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung" vor allem mit Blick auf Außenminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU). Seit Monaten sei klar gewesen, dass afghanische Ortskräfte Schutz bräuchten. Auch die Linke sprach von einem "Totalversagen" von Maas und anderen Ministern. Nach der Wahl sei ein Untersuchungsausschuss nötig und eine Überprüfung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, sagte Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte der "Rheinischen Post" vom Samstag.

cp