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Dschalalabad in Händen der Taliban

Taliban nehmen mit Dschalalabad die vorletzte große Stadt Afghanistans ein

Asadabad, Masar-i-Scharif und nun auch noch Dschalalabad: Die radikalislamischen Taliban haben in Afghanistan mittlerweile alle großen Städte außer der Hauptstadt Kabul eingenommen. Während die Taliban-Kämpfer am Wochenende nur noch rund 50 Kilometer von Kabul entfernt waren, arbeiteten die USA, Deutschland und andere westliche Staaten unter Hochdruck daran, ihre Bürger und Ortskräfte auszufliegen. Am Montag sollen laut einem Zeitungsbericht deutsche Militärtransporter in Kabul eintreffen.

Am Sonntag sagten Bewohner von Dschalalabad, die Hauptstadt der Provinz Nangarhar sei kampflos an die Taliban gegangen. Damit bestätigten sie entsprechende Behauptungen der Taliban in Online-Netzwerken.

"Wir sind heute morgen mit lauter weißen Fahnen für die Taliban in der ganzen Stadt aufgewacht", sagte Ahmad Wali aus Dschalalabad. Zuvor hatten die Taliban die wichtigen Städte Asadabad und Gardes und schließlich Masar-i-Scharif, die Hauptstadt der Provinz Balch und größte Stadt im Norden Afghanistans, eingenommen. Dort hatte die Bundeswehr zuletzt ihr größtes Feldlager.

Nach der Einnahme von Pul-i-Alam, der Hauptstadt der Provinz Logar, lagerten die Taliban bereits am Samstag nur noch rund 50 Kilometer von Kabul entfernt. Die afghanischen Kriegsherren Abdul Raschid Dostum und Atta Mohammed Noor, deren Milizen die Regierungstruppen im Kampf gegen die Taliban im Norden des Landes unterstützen sollten, flohen inzwischen nach Usbekistan, wie einer ihrer Helfer berichtete.

US-Präsident Joe Biden kündigte an, statt der zunächst vorgesehenen 3000 würden rund 5000 US-Soldaten eingesetzt, um die Ausreise des Botschaftspersonals und unzähliger ziviler Ortskräfte zu sichern. Er warnte die Taliban davor, die Mission zu behindern. Angriffe auf US-Interessen würden rasch und energisch beantwortet.

Zugleich verteidigte Biden seine Entscheidung, das US-Militär nach 20 Jahren aus Afghanistan abzuziehen. Er sei der vierte US-Präsident, der die Verantwortung über diese Truppenpräsenz getragen habe, erklärte er. "Ich werde diesen Krieg nicht an einen fünften Präsidenten weitergeben."

Auch Auswärtiges Amt und Bundesverteidigungsministerium wollen das Botschaftspersonal in Kabul, andere deutsche Staatsbürger sowie Ortskräfte rasch außer Landes bringen. Dazu flögen am Montag Militärtransporter der deutschen Luftwaffe vom Typ A400M in die afghanische Hauptstadt, berichtete die "Bild am Sonntag". Voraussichtlich werde in der usbekischen Hauptstadt Taschkent eine Drehscheibe für Zwischenlandungen eingerichtet. Von dort sollten die Passagiere mit Chartermaschinen nach Deutschland gebracht werden.

Angesichts der aktuellen Gefahrenlage ist dem Bericht zufolge eine nachträgliche Mandatierung des Bundeswehr-Einsatzes durch den Bundestag wahrscheinlich. "Oberstes Gebot ist jetzt die Sicherheit unseres Botschaftspersonals", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) der "BamS". "Wir sind für alle Szenarien vorbereitet." 

Die Taliban hatten während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 eine strenge Auslegung des islamischen Rechts in Afghanistan eingeführt. Mädchen waren von Bildung, Frauen vom Arbeitsleben ausgeschlossen. Straftaten wurden mit öffentlichen Auspeitschungen oder Hinrichtungen geahndet. UN-Generalsekretär António Guterres sprach am Freitag von "entsetzlichen" Berichten über Menschenrechtsverletzungen in von den Taliban kontrollierten Gebieten. Zehntausende Menschen sind vor den Taliban nach Kabul geflohen.

Staatschef Aschraf Ghani versuchte am Samstag in einer Fernsehansprache, die Bürger zu beruhigen. "Ich werde nicht zulassen, dass der auferlegte Krieg gegen die Bevölkerung mehr Tote fordert", sagte er. Es seien "ernsthafte Schritte" zur Remobilisierung der Armee eingeleitet worden. Zudem liefen "Beratungen" mit politischen Verantwortungsträgern und internationalen Partnern, um Afghanistan "Frieden und Stabilität" zu sichern.

Laut dem Kabuler Experten Sajed Naser Mosawi scheinen Ghani die Optionen auszugehen: Der Staatschef scheine nicht bereit, "bis zum Ende zu kämpfen". Vielmehr wolle Ghani offenbar "eine Art von Einigung" erzielen oder gar kapitulieren. Die US-Regierung hatte der afghanischen Armee zuvor einen "Mangel an Widerstand" vorgeworfen.

yb/pe


Jay DESHMUKH / © Agence France-Presse