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Taliban erobern zwei weitere Städte

Die Taliban setzen ihre Blitzoffensive im Norden Afghanistans fort:

Allein am Sonntag eroberte die radikalislamische Miliz drei Provinzhauptstädte, darunter die Stadt Kundus, in deren Nähe die Bundeswehr jahrelang ein großes Feldlager unterhalten hatte. Damit fielen innerhalb von drei Tagen fünf Provinzhauptstädte in die Hände der Islamisten. 

Kundus sei "nach heftigen Kämpfen" in ihrer Hand, erklärten die Taliban am Sonntag. Abgeordnete und Bewohner bestätigten die Einnahme. Am selben Tag nahmen die Aufständischen Sar-i-Pul, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Nordwesten, sowie Talokan, die Hauptstadt der Provinz Tachar im Nordosten des Landes ein. 

Die Taliban haben seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen im Mai bereits weite Teile des Landes erobert. Die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Kundus ist ihr bislang größter Erfolg.

Während des internationalen Kampfeinsatzes in Afghanistan war die Bundeswehr rund ein Jahrzehnt lang in Kundus stationiert. Von 2003 bis 2013 überwachten deutsche Soldaten vom Feldlager Kundus aus die Sicherheit im Norden des Landes. Bis Ende November 2020 waren noch rund 100 Bundeswehrsoldaten im "Camp Pamir" als Ausbilder für die afghanischen Streitkräfte vor Ort, Ende April wurde der Standort offiziell an das afghanische Militär übergeben.

Die afghanischen Truppen starteten nach Angaben des Verteidigungsministeriums eine Offensive zur Rückeroberung wichtiger Einrichtungen in Kundus. Die Stadt befinde sich im "totalen Chaos", berichtete ein Einwohner. Bilder in Online-Medien zeigten, wie Taliban-Kämpfer Häftlinge aus dem Gefängnis freiließen.

Auch Sar-i-Pul nahmen die Islamisten am Sonntag ein. Regierungsbeamte und die verbliebenen Streitkräfte hätten sich in eine Kaserne rund drei Kilometer vor der Stadt zurückgezogen, berichtete die Frauenrechtsaktivistin Parwina Asimi der Nachrichtenagentur AFP am Telefon. Laut einem Vertreter des Provinzrats umstellten die Taliban das Gelände.

Stunden später eroberten die Taliban dann Talokan. Die staatlichen Sicherheitskräfte hätten sich aus der Stadt zurückgezogen, "nachdem die Regierung keine Hilfe geschickt hat", sagte ein Militär-Mitglied AFP. Ein Einwohner berichtete, Beamte und Sicherheitskräfte hätten die Stadt in langen Fahrzeugkonvois verlassen.

Der Vormarsch der radikalislamischen Miliz im Norden Afghanistans könnte sich als Wendepunkt im Kampf mit den Regierungsstreitkräften erweisen. Der Norden galt lange als Hochburg des Widerstands gegen die Islamisten. Die Region ist Heimat mehrerer Milizen und für die afghanische Armee wichtiges Rekrutierungsgebiet.

Am Freitag hatten die Taliban mit der südwestlichen Stadt Sarandsch die erste Provinzhauptstadt eingenommen, einen Tag später folgte Scheberghan in der nördlichen Provinz Dschausdschan. Auch vom Stadtrand der Provinzhauptstädte Herat nahe der Grenze zum Iran sowie Laschkar Gah und Kandahar im Süden wurden Gefechte gemeldet.

Die Geschwindigkeit, mit der die Islamisten vordringen, hat das afghanische Militär überrumpelt. Unterstützung erhielt die Armee am Samstag durch das US-Militär, das Taliban-Stellungen in Scheberghan bombardierte. 

Scheberghan ist die Bastion des berüchtigten Kriegsherrn Abdul Raschid Dostum. Er stand in den neunziger Jahren einer der größten Milizen im Norden Afghanistans vor, seine Kämpfer gingen mit extremer Brutalität gegen die Taliban vor. Sollte sich Dostums Miliz aus der Region zurückziehen, wäre dies für die Regierung in Kabul ein herber Schlag. Sie setzt in ihrem Kampf gegen die Taliban auch auf die Unterstützung durch örtliche Kriegsherren.

Die Regierung in Kabul äußerte sich zunächst nur zurückhaltend zum Fall der Provinzhauptstädte. Sie erklärte lediglich, die Armee werde die Städte zurückerobern. 

ans/gt