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Deutlich mehr Rentner besorgen sich Gratis-Lebensmittel bei Tafeln

Die 940 Tafeln in Deutschland zählten in diesem Jahr nach Brühls Angaben rund 1,65 Millionen Kunden, die dort kostenlose Lebensmittel in Empfang nahmen. Auffällig sei die deutlich stärker gestiegene Zahl der Rentner


Die Lebensmittel-Tafeln in Deutschland verzeichnen einen massiven Anstieg der Besuche von bedürftigen Rentnern. Ihre Zahl unter den Tafelkunden sei binnen eines Jahres um 20 Prozent auf 430.000 gestiegen, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands, Jochen Brühl, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Samstag. Die Gesamtzahl der Besucher sei um zehn Prozent gestiegen. Linken-Chef Bernd Riexinger sprach von einem "Warnsignal" und machte eine "verkorkste Renten- und Lohnpolitik" der Regierung dafür verantwortlich.

Die 940 Tafeln in Deutschland zählten in diesem Jahr nach Brühls Angaben rund 1,65 Millionen Kunden, die dort kostenlose Lebensmittel in Empfang nahmen. Die Zahl sei zehn Prozent höher als 2018. Auffällig sei die deutlich stärker gestiegene Zahl der Rentner unter den Kunden. 

Es koste viel Energie, Armut zu verstecken, sagte Brühl. Ältere Menschen hätten diese Kraft oftmals nicht mehr "und kommen dann zu uns". Viele Tafeln hätten zudem spezielle Angebote für einsame ältere Menschen gestartet, etwa Senioren-Nachmittage: "Das senkt vielleicht die Hemmschwelle."

Linken-Chef Riexinger machte auch die Politik der Regierung für die Entwicklung verantwortlich. "Niedrige Löhne in Kombination mit einem abgesenkten Rentenniveau führen zu niedrigen Renten und in letzter Konsequenz zu Altersarmut", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Er forderte eine Mindestrente von 1050 Euro.

Der Linken-Chef mahnte eine" grundlegende Reform im Rentensystem" an. Dazu müsse ein Mindestlohn von zwölf Euro und die Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent zählen. "Ziel muss es sein, dass Rentensystem so aufzustellen, dass Tafeln nicht mehr nötig sind", sagte Riexinger zu AFP. Die von der Koalition geplante Grundrente werde die Altersarmut nicht beenden.

Auch die SPD zeigte sich besorgt über die steigende Tafel-Nachfrage. "Zu einem Alter in Würde gehört eine Rente, die zum Leben reicht", sagte Fraktionsvize Katja Mast zu AFP. "Wir müssen und werden noch viel genauer hinschauen." Nötig sei eine "konsequente Bekämpfung der vielfältigen Formen von Armut". Als Maßnahmen nannte sie die Grundrente und den von der SPD geforderten perspektivischen Mindestlohn von zwölf Euro.

Tafel-Chef Brühl rechnet nach eigenen Angaben nicht damit, dass die derzeit diskutierte Grundrente Probleme grundsätzlich lösen werde. "Grundrente klingt so, als werde damit die Altersarmut in Deutschland abgeschafft", sagte er der "NOZ". "Das ist natürlich Quatsch." Eine effektive Bekämpfung der Altersarmut beginne im Erwerbsleben oder noch früher. 

"Unter unseren Kunden sind auch 500.000 Kinder und Jugendliche", sagte Brühl. "Deren Zahl übersteigt also noch die der Rentner, die unsere Angebote nutzen."

Brühl beklagte, die Gesellschaft verdränge, unter welchen Bedingungen viele Menschen lebten. "Ich glaube zwar nicht, dass Menschen hierzulande hungern." Aber gerade ältere Menschen berichteten, dass sie die Heizung im Winter nicht anstellten aus Sorge, die Heizkostenabrechnung im Frühjahr nicht mehr bezahlen zu können.

Die gemeinnützigen Tafeln sammeln Lebensmittelspenden von Händlern und Herstellern und verteilen diese regelmäßig an bedürftige Menschen.

pw/rh

© Agence France-Presse