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Robin Hood und Lady Esken

Links zwo, drei, vier. Mit neuer Spitze gegen den Status quo. Kommentar zur Wahl der neuen SPD-Spitze.

Wer hätte das gedacht? Norbert Walter-Borjans, der uns Westfalen bereits als Finanzminister bekannt sein sollte und Saskia Esken, die stille Abgeordnete aus Baden-Württemberg, sollen es nun sein, das Dopamin der SPD.


Wenn man sich die breiten Pressemeinungen zum neuen Führungsduo anschaut, das mit gut 53 Prozent die Parteivorsitzenden-Wahl gewonnen hat, sieht man beinahe überall Ernüchterung. Dabei steckt in dem unbedarften Gesicht der neuen SPD-Spitze so viel Potential. Mir geht es in erster Linie gar nicht darum, zu unterstreichen, dass ich persönlich der Wahl inhaltlich wohlgesonnen gegenüber stehe, sondern um den Facettenreichtum der Parteienlandschaft in Deutschland.


Mit dem neuen Führungsduo Nowaba (so nennt die Bild-Zeitung Norbert Walter-Borjan wohl in Anlehnung an die „erfolgreichen“ Landesbanken) und Esken, hat die SPD endlich wieder die Möglichkeit, sich echten sozialdemokratischen Themen zu widmen und dieses Feld nicht allein der AfD zu überlassen. Sie denken jetzt vielleicht, aber das macht doch die LINKE? Stimmt, macht sie, aber der geneigte Moraldemokrat deutscher Landen assoziiert die Nachfolgepartei der PDS und WASG immer noch ausschließlich mit der SED, also der ehemaligen Führungspartei der DDR, was sie für viele unwählbar macht. Man vergisst dabei allerdings schnell, dass auch unendlich viele Parteimitglieder anderer Parteien „Scheisse am Schuh“ haben, wie es gestern ein Bekannter passend formuliert hat; aber das sei nur am Rande erwähnt.


Ja, beim Gedanken von Neuwahlen kommen auch mir die Nackenhaare hoch, denn natürlich wird die AfD erstarken. Aber sie erstarkt auf Feldern, die eigentlich sozialdemokratisch und nicht national besetzt sein sollten. Krankenversorgung, Mindestlohn, Heimat und Nächstenliebe, kurz alles, was zu den klassischen Kernkompetenzen einer Partei gehört, die rein faktisch bezogen für alle Wähler mit einem Einkommen unter 20.000 Euro im Monat getrost gewählt werden kann und eigentlich sollte, weil sie ihre Interessen vertritt. Denn von neoliberalem Gequatsche a la Mindestlohn von 12 Euro lässt sich nicht refinanzieren oder tötet gar Arbeitsplätze und Sätze wie: „der Markt regelt sich von selbst“, haben wir spätestens seit der Ära Schröder genug gehört.


Uh, da war er wieder, dieser Name des Verräters, der zur bösen Seite der Macht wechselte; genauso wie unser ehemaliger Finanzminister und Ministerpräsident Clement und verdammt, beide waren sie SPD`ler, bzw. sind es noch immer. Wie soll man einer Partei glauben schenken, die Mitglieder beheimatet, die die Sozialdemokratie so verraten haben?


An dieser Stelle möchte ich nicht näher auf Thilo Sarrazin eingehen, da er als Finanzminister in Berlin eine ordentliche Arbeit ablieferte, jedoch durch seine Publikationen so in Misskredit geraten ist, dass er eines eigenen Artikels bedürfte. Dass sich die SPD mit seinem Rauswurf allerdings so schwer tut, zeigt auch, wie wichtig ihnen Grundrechte wie Meinungsfreiheit und anderes sind. Es ist immer leicht, einen zur persona non grata zu erklären, aber gelöst ist das Problem ansich damit noch nicht. Weil es ziemlich alternativlos ist, denn zur Wahl der Linken ist man noch nicht bereit, da man allzu schnell vergisst, dass von den teilweise abstrusen Forderungen bei einer Regierungsbeteilugung der Herrgott auch hier den Koalitionsvertrag vor die Regierungsgeschäfte gesetzt hat und man davon ausgehen kann, dass es zur absoluten Mehrheit der LINKEn wohl niemals kommen würde.


Es sind nicht nur die SPDler, die sich teilweise verlaufen. Man denke nur an Roland Koch, den ehemaligen Ministerpräsidenten von Hessen. Dem hardcorekonservativen Sanierer, der als Aufsichtsratsvorsitzender bei der Baufirma Bilfinger und Berger, die seit seiner Amtszeit nur noch unter Bilfinger firmiert, kläglich gescheitert war; so sehr, dass man ihn „vom Hof gejagt hat“, wie Insider berichten „um Schlimmeres oder gar die große Katastrophe zu verhindern“, aber auch der uns bekannte Ronald Pofalla mit seinen Aktivitäten bei der Bahn oder Friedrich Merz, ehemaliger Deutschland-Chef von BlackRock, spätestens jetzt kann mir keiner mehr sagen, dass nur einige SPDler die Seele an den Teufel verkauft haben.


Haben wir eine andere Wahl? Wer aus der aktuellen sozialdemokratischen Ägide hat denn noch eine so weiße Weste, dass es wenigstens nachvollziehbar ist, ihnen Glauben zu schenken. Sie alle haben die Partei an den Rand gebracht, an dem sie sich jetzt befindet, mit Böhmermann wie Bernie von Schalke.


Die SPD hat mit der Wahl (die ja heute noch von der Basis und dem jetzigen Vorstand bestätigt werden muss), einen mutigen Schritt in Richtung Neuanfang gesetzt. Jetzt hat sie wieder die Chance mit echten Alternativen ein dialektisches Gleichgewicht zum Neoliberalismus zu bilden.


Ich weiss auch nicht, ob es sinnig ist, den Koalitionsvertrag neu zu verhandeln, oder einfach in das manchmal eiskalte Wasser der Realität zu springen. Bei Neuwahlen würde nämlich neben einer erstarkten AfD auch eine erstarkte Sozialdemokratie winken können. Entweder auf dem Weg, dass der SPD wieder mehr vertraut wird oder indem man dann doch lieber Linke wählt, die in ihren bisherigen Landesregierungen gar keine so schlechte Arbeit gemacht haben.


Außerdem hilft der Linksruck der SPD auch der CDU bei der Neuausrichtung. Endlich kann man sich wieder konservativen Wählern widmen und sich aus dieser Perspektive wieder vernünftig strategisch positionieren. Das könnte sie wieder interessanter für Koalitionen mit der FDP machen, aber, man bedenke den anderen Parteitag in Braunschweig, auch die himmelblauen Braunen haben ein Auge auf die Christdemokraten als Koalitionspartner geworfen und das AFD und CDU im „bestcase“ langfristig eine gemeinsame Option als Koalitionspartner darstellen, ist so sicher wie die Partnerschaft zwischen Linken und SPD. Was die Grünen und die FDP langfristig wieder zu Königsmachern „upgraded“. Also eigentlich wie früher, nur dass die CDU nicht mehr alleine konservativ ist und die SPD nicht mehr monarchisch alle sozialdemokratischen Themen besetzt.


Dass mit dem Kauf der Steuer-CDs aus der Schweiz der demokratische Handlungsspielraum beinahe gesprengt wurde, kann an dieser Stelle zumindest als Indiz dafür genutzt werden, dass es Norbert Walter-Borjans zumindest um Gerechtigkeit geht. Ich denke, dass unter einer theoretischen Regierung mit einer solchen SPD-Führung, man eher den Nahverkehr statt den Fernverkehr subventioniert hätte, man einen vernünftigen Stundenlohn hätte (bei der Einführung des Mindestlohns gab es einen regelrechten Wirtschaftsboom, aber das nur am Rande an die konservativen Kritiker gerichtet).


Ich freue mich, als Demokrat auf eine hoffentlich neue und ernstzunehmende Wahlalternative. Ein Erstarken der Demokratie durch mehr Vielfalt in den Angeboten und wachsamen Bürgern. Am Ende profitieren alle, weil keiner mehr sagen kann: Mich hat ja keiner gefragt.


Im Shareholder-Forrest rund um den globalen Markt, kann aber eine weitere kritische Stimme nicht schaden, um das von allen befürchtete Chaos zu verhindern.


Foto: Muenstermann