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Zug durch die Gemeinde

Mit dem Schnellbus in die Vergangenheit eines modernen Peer Gynt

Eigentlich wollte ich heute einen kritischen Artikel über Günter Wallraff schreiben. Der war gestern in Münster. Da aber der Floh, ein Kollege aus der Redaktion, eh darüber schreibt, konnte ich mich mit dem Schnellbus aufs Land verziehen, um dort zwischen Kuhdung und Apfelbäumen die Beine baumeln zu lassen.


So saß ich nun am Küchentisch mit zwei Hausarbeiten im Rücken und einem schlechten Kaffee bewaffnet vor meinem Rechner. Beinahe wie früher, nur dass Mama mittlerweile nicht mehr schnell genug ist, meine Ordnung zu kommentieren.


Seit Tagen bin ich eigentlich kaum noch mit Schreiben, sondern nur noch mit Formalien beschäftigt, weshalb ich mir zutraute, diese in wenig geliebten Gefilden voran zu bringen. Sei es drum, an einem Punkt, der in letzter Zeit regelmäßiger in Erscheinung trat, nämlich Verzweiflung, klappte ich die geheiligte Technik beinahe spöttisch missachtend wie ein Mathebuch zu und verließ mein beinahe lieb gewordenes Refugium.


Der Blick in den Himmel versprach 20 trockene Minuten bei heroisch kämpfenden Sonnenstrahlen über der früher so gehassten Kleinstadtidylle, die sich eigentlich Dorf nennen sollte. Man glaubt gar nicht, was einem alles durch den Kopf schwirrt, wenn man in einer Schaffenspause freigeistig durch die Vergangenheit schlendert. Tanja, ohhh ja Tanja und Roxette oder Christoph. Verdammt der Gullideckel auf dem Finger hat weh getan. Und Rainer, Du Spasti, was hast Du Dir dabei gedacht?!


In dem Moment, so als wäre mir der Allmächtige erschienen, springt in seiner Pracht wie vom Baum der Erkenntnis kommend ein saftiger roter Apfel in mein Blickfeld. Und wie Eva war auch ich nicht in der Lage zu widerstehen und fand mich kurz darauf schmatzend und grinsend zwischen mit Fingernagelscheren beschnittenen Buchsbäumen und improvisierten Geschäftsstellen diverser Kleinunternehmer wieder. Und wo ich früher nur Hohn und Spott empfand, erwischte ich mich nun dabei wie ich dachte: „Aber es scheint ja zu funktionieren.“


Der Plausch mit der ehemaligen Klassenkameradin, die ich nicht wiedererkannte und die Erinnerung an den ersten Ladendiebstahl befreiten meine Gedanken erfolgreich von dem Zirkelschluss über Superman in weniger superhaftem Geiste.


Es ist lange her, dass ich so unbefangen durch die Straßen meiner Kindheit zog und mich an Peer Gynt erinnert fühlte. Nur dass ich hier keine Jugendliebe erwartete und die Wahrscheinlichkeit als selbige von anderen wahrgenommen zu werden sich ebenso asymptotisch dem 0-Punkt nähert.


Ob ich gerne Teil dieses Idylls irgendwo im Nirgendwo sein möchte? Bestimmt nicht. Aber ein bisschen neidisch bin ich schon. Hier ist zwar nichts besser, aber diese Genügsamkeit, das eigene Leben wie ein klitzekleines Zahnrad im Getriebe des unendlichen Kreislaufs betrachten zu können, nötigt mir Bewunderung ab. Früher dachte ich immer, dass mich mein Ehrgeiz in dieser Sozialisation extrapoliert, heute denke ich „Ehrgeiz“, welch grässliches Wort, aber auch wie passend: „ehrgeizig“. Ich bin aber nicht bereit (m)eine Ehre zu teilen. Ich bin geizig.


Mal schauen, ob ich nachher noch einmal bei den Pferden um die Ecke vorbeischaue oder bei den Gänsen 200 Meter weiter, oder ob ich mich einfach mit Nils Holgersson ins Bett lege. Sicher ist nur, dass ich sobald nicht wiederkomme, aber nicht, weil ich wie früher so angepisst bin, sondern weil das Graben in der eigenen Seele anstrengender ist, als eine Hausarbeit über Superman oder Hannah Ahrendt zu schreiben.


Foto: U. Muenstermann