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Der kulturpolitische Wochenreport (16. KW)

Corona vs. Kultur: Wann wird es besser, Kultur macht stark, Wanderausstellung: Jüdischer Alltag, Ausschreibung: Mentoring für Frauen in Führungspositionen, neue Politik & Kultur, Text der Woche, Die zehn neuesten politische Stellungnahmen, Kulturrat sucht studentische/n Mitarbeiter/in

Sehr geehrte Damen und Herren,  

die Älteren unter den Leserinnen und Lesern dieses Newsletters werden sich vielleicht an den von Rudi Carell gesungenen Schlager »Wann wird's 'mal wieder richtig Sommer, Ein Sommer, wie er früher einmal war?« erinnern. Und irgendwie entfährt auch mir manchmal dieser Seufzer, wann wird es endlich so wie früher? Wann endet diese vermaledeite Pandemie endlich? Wann sind wieder Treffen möglich? Wann endlich können die Theater, Museen und vielen anderen Orte der Kultur endlich wieder öffnen? Und wann, wann wird ein Normalzustand eintreten?

Zuerst einmal gelten ab heute verbindlich und bundeseinheitlich Regeln, was bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 je 100.000 Einwohner in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt gilt. Es ist richtig und war absolut notwendig, dass mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes bundesweite Regelungen zur Eindämmung der Pandemie verabschiedet wurden. Die Maßnahmen werden hoffentlich schnell Wirkung zeigen. 

Im neuen § 28b des Infektionsschutzgesetzes ist ab einer Inzidenz von 100 geregelt:

dass Ausgangssperren von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr gelten,dass Freizeiteinrichtungen, wozu auch Diskotheken und Clubs zählen, geschlossen sein müssen,dass Ladengeschäfte geschlossen werden müssen, es sei denn, sie bieten Waren des täglichen Bedarfs an, wozu auch Buchhandlungen zählen,dass Kultureinrichtungen, namentlich Theater, Opern, Konzerthäuser, Bühnen, Musikclubs, Kinos mit Ausnahme von Autokinos, Museen, Ausstellungen und Gedenkstätten, für das Publikum nicht öffnen dürfen. Probebetrieb beispielsweise in Theatern ist möglich und Filme können unter strengen Hygieneauflagen gedreht werden.

Aber nicht alle Regelungen im neuen Infektionsschutzgesetz sind mir einsichtig. Dass bei einer Inzidenz von mehr 100 grundsätzlich keine Open-Air-Kulturveranstaltungen, selbst unter strengsten Hygienevorgaben, durchgeführt werden dürfen, ist nicht nachvollziehbar. Leider ist es nicht gelungen hierfür eine Regelung im Gesetz zu verankern.

Die Außenanlagen von Botanischen Gärten und Zoos dürfen auch bei Inzidenzen über 100 öffnen. Das sei ihnen von Herzen gegönnt und ist gerade auch in großen Städten, in denen viele Menschen beengt leben, sehr wichtig. Allerdings gilt mit Blick auf die Kultur zu berücksichtigen, dass in der Gesetzesbegründung zu § 28 a, Abs. 2 Nr. 7 des Infektionsschutzgesetzes auf den Werk- und Wirkbereich der Kunstfreiheit explizit eingegangen wird. Die Kultur wird durch Art. 5, Abs. 3 des Grundgesetzes, also durch die Kunstfreiheit, besonders geschützt. Ähnlich den Religionsgemeinschaften, die aufgrund ihres besonderen grundgesetzlichen Schutzes einer Sonderregelung unterliegen, wäre dies auch für Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel wünschenswert gewesen. (Siehe Stellungnahme des Kulturrates zur Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages am 16.04.2021)

Zumal mit dem Kultursommer 2021, einem Programm der Kulturstiftung des Bundes aus Mitteln von NEUSTART KULTUR, im Freien stattfindende Kulturveranstaltungen in Kommunen und Landkreisen gefördert werden sollen. Mit diesem Programm sollen neue bzw. zusätzlich entwickelte Kulturprogramme im öffentlichen Raum unterstützt werden, die ab Juni 2021 veranstaltet werden. Das Programm soll insbesondere dazu dienen, lokalen und regional arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern sowie freien Gruppen Präsentationsmöglichkeiten zu bieten, freie Akteure breit zu beteiligen, Angebote für ein junges Publikum zu unterbreiten und anderes mehr. Antragsberechtigt waren Städte und Landkreise. Zahlreiche Bewerbungen mit spannenden Konzepten wurden eingereicht und die Jury hat die schwierige Qual der Wahl die zur Verfügung stehenden 30,5 Millionen Euro an die Richtigen zu vergeben.

Föderalismuskrise

Dennoch eines darf nicht vergessen werden, dass eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes und eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich wurde, liegt in erster Linie daran, dass das vorherige Verfahren immer schlechter funktionierte. Zwar einigten sich die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen und die Bundeskanzlerin in zähen, über Stunden dauernden Verhandlungen auf ein gemeinsames Vorgehen, doch kaum gingen die Verantwortlichen auseinander, verkündete der eine oder andere Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin im eigenen Land doch anders zu verfahren. Es gipfelte schließlich in der vor Ostern beschlossenen Osterruhe, die einen Tag später wieder zurückgenommen wurde.

Ja, das Infektionsgeschehen zwischen den Ländern ist unterschiedlich, aber auch innerhalb der Länder kann keineswegs von einem einheitlichen Bild gesprochen werden. Diese Unterschiedlichkeit darf aber nicht dazu führen, dass eigene Beschlüsse im Handumdrehen revidiert werden.

Das Handeln des Bundes offenbart das mangelnde Handeln der Länder. Sie hätten es in der Hand gehabt, durch konsequentes Umsetzen oder auch Verschärfen von Regeln das Infektionsgeschehen in Schach zu halten. Hamburg beispielsweise hat schon am 2. April eine nächtliche Ausgangssperre angeordnet und die Erfolge sind inzwischen (Stand 22. April) an sinkenden Inzidenzen abzulesen. Die Ausgangssperre ist sicherlich nur ein Erfolgsfaktor, dass er wirken kann, war aber auch in anderen europäischen Ländern zu sehen.

Dass die Kanzlerin im Fernsehen verkündet hatte, eigene Schritte zu überlegen, sollten die Länder nicht aktiv werden, hätte die Länder eigentlich auf den Plan rufen müssen, gemeinsam und einheitlich Regeln zu vereinbaren und umzusetzen, was bei einer Inzidenz über 100 gilt. Sie hätten zeigen können, dass sie willens und fähig sind, gemeinsam diese Pandemie zu bekämpfen. Leider scheint dieser gemeinsame Wille nicht vorhanden zu sein. So lockert der eine und erklärt gleich ein ganzes Bundesland zu einem Modellprojekt und der andere verschärft. Den Durchblick, was wo wann und warum gilt, hat kaum noch jemand.

Seit einem Jahr ist immer wieder die Rede davon, dass durch die Pandemie Schwachstellen oder Dysfunktionalitäten sichtbar werden. Auch wir haben immer wieder Beispiele aus dem Kulturbereich angeführt. Deutlich sichtbar werden ebenfalls die Dysfunktionalitäten im Föderalismus. Mehr Gesamtverantwortung für das Gemeinwesen, das nicht an der eigenen Landesgrenze endet, wäre der Schritt der Länder in die richtige Richtung. Doch das ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, der Buhmann ist gefunden, der Bund ist schuld und vor allem übergriffig. Schade, mehr Gemeinsinn wäre eigentlich das richtige Signal in einer Zeit, die allen viel abverlangt.

Wo bleibt das Positive?

Positiv ist, dass es mit dem Impfen langsam, aber stetig vorangeht. Hier scheint der Wettbewerb zwischen den Ländern zu gelingen, denn jeder möchte deutscher Impfmeister werden. Sehr erfreulich ist auch, dass die Mittel aus NEUSTART KULTUR auch im Jahr 2022 verwendet werden dürfen und die Abrechnung im Jahr 2023 erfolgen kann. Vielen Programmverantwortlichen wird ein Stein vom Herzen gefallen sein, bestand doch die Sorge, dass in diesem Jahr sehr viel Geld ausgeschüttet werden muss und dafür im kommenden Jahr aufgrund der Bundestagswahl und der abzusehenden vorläufigen Haushaltsführung keine neuen Programme aufgelegt werden können. Jetzt besteht die Möglichkeit auf längere Sicht, Programme anzulegen und damit dem Kulturbereich eine Perspektive auch nach der Krise zu geben.

#allesdichtmachen

Abschließend noch eine Bemerkung zur Aktion #allesdichtmachen. 50 prominente Film- und Fernsehschauspieler haben gestern Abend auf Instagram und YouTube persönliche Statements zur Coronapolitik der Bundesregierung veröffentlicht. Diese ironisch-satirischen Clips sind meiner Meinung nach in der aktuellen Debatte nicht hilfreich. Die Filmchen können hier gesammelt abgerufen werden.

PS. „Kultur macht stark“, das im Jahr 2013 startete, geht in die 3. Runde. Das Programm geht auf eine Idee des Deutschen Kulturrates zurück. Seit dem Start des Programmes des Bundesbildungsministeriums wurden fast eine Million Kinder und Jugendliche erreicht und mehr als 30.000 Projekte durchgeführt. Im Programm "Kultur macht stark" werden die Projektmitttel über bundesweit tätige Verbände und Initiativen vergeben. Dieses erfolgreiche Einbinden der organisierten Zivilgesellschaft war auch Vorbild bei NEUSTART KULTUR.


Ihr
Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates vom 23.04.2021